Ab ins Bett!
mir wieder einmal deutlich macht, daß er das Recht hat, diesen angedeuteten Akt zu vertiefen, wie es ihm beliebt, »war ein geweihtes Licht, das wundersamer
Weise während der ganzen römischen Belagerung des zweiten Tempels brannte, obwohl wir kein Ol mehr hatten.«
Der Applaus verebbt. Die anderen Bewohner des Liv Dashem-Heims, die sich gerade im Fernsehzimmer aufhalten, gucken grämlich zu uns hin, vielleicht weil unser Familiensingen nicht sonderlich ist, aber wahrscheinlich eher, weil hier Familienbesuch als Statussymbol gilt. Das Auftauchen von Verwandten ist harte Währung oder wie Glimmstengel im Knast, und gleich zwölf davon, die im Kreis herumstehen und jede Bewegung von einem beklatschen, wird als Protzerei aufgefaßt. Der Mann mit den dicken Brillengläsern, dem ich letztesmal im Aufzug begegnete - Mr. Fingelstone nannte ihn eine der Schwestern, glaube ich -, sitzt in der allerhintersten Ecke in einem Schaukelstuhl mit blauen Flanellkissen und guckt besonders verdrossen; dann knurrt er laut vernehmlich vor sich hin, als meine Mutter, die für die Torte sorgte, meine Großmutter in den Arm nimmt und die beiden plötzlich aussehen wie ein doppelköpfiges jüdisches Muttermonster.
»Wir?« sage ich zu Ben. Er steht neben mir, Alice auf seiner anderen Seite.
»Die Juden«, schnauzt er zurück, ohne mich anzusehen, was heißen soll: »Du weißt ganz genau, was ich meinte.«
Ich betrachte sein Profil und frage mich, wie sehr es meinem ähnelt. »Hast du das noch von der Grundschule gewußt?« Obwohl wir beide später auf (verschiedene) nichtkonfessionelle Gymnasien gingen, teilten wir uns in der jüdischen Tagesschule für Fünf- bis Elfjährige in Nordwestlondon koscheren Pudding und trugen die obligatorischen Kappen.
»Nein«, sagt er und guckt mich endlich an. »Ich habe es letzte Woche in einem Buch gelesen.«
Welch leichte Bettlektüre mag das gewesen sein, frage ich mich, bekomme aber keine Chance, die Sache weiterzuverfolgen, da meine Tante Edie — in Wirklichkeit meine Großtante Edie, aber sie zieht es vor, daß wir die Vorsilbe fallen lassen — uns alle in eine Reihe fächelt, damit wir Mutti küssen und unsere Geschenke überreichen. Ich benutze das Wort fächeln, weil es am besten ihre Handbewegung beschreibt, die übrigens in vielerlei Hinsicht jener ähnlich ist, mit der sich der präverrückte Nick nach einem besonders gelungenen Furz die Geruchsfahne genüßlich zur Nase hochfächelte.
Tante Edie vollführt all ihre Bewegungen in Superzeitlupe, womit ich mehr als bloße Langsamkeit meine, wie etwa bei Mutti oder Lydia Frindel; sie wirkt immer, als hätte sie sich Luft unter die Gliedmaßen geblasen. Wenn sie etwas erzählt, gestikuliert sie, als würde sie ohne Taktstock ein endloses Adagio dirigieren, und durch einen überfüllten Festsaal gleitet sie wie ein jüdisches Schwebeschiff. Ihre Haut ist sonnenbett-orange, und würde man all das lose Fleisch, das ihr zwischen Kinn und Hals herunterhängt, abschneiden und straffziehen, könnte man Phil Collins größtes Schlagzeug damit neu bespannen.
Wie ich sehe, haben Ben und Alice ein richtiges Geschenk mitgebracht, hübsch eingewickelt in Goldmetallfolie und mit roter Schleife. Das kommt daher, weil Ben, obwohl nur zwei Jahre älter als ich, ungefähr fünfzehn Jahre erwachsener ist, und nicht mehr dem Kleinkinderglauben anhängt, weil Mutti die Großmutter ist, sei sie diejenige, die an Geburtstagen mit Geschenken anzutanzen hat und wir uns um ihren nicht weiter zu scheren brauchen. Ich bin überhaupt noch nicht aus dieser Denkungsart herausgewachsen, obwohl ich direkt neben der Kilburn High Road wohne, außerdem bestens zu Fuß bin und Mutti eine halbe Meile vom nächsten Geschäft entfernt lebt und es in manchen Nächten gerade noch bis zur Toilette schafft. Ich habe ihr jedoch eine Karte gekauft, Für eine wundervolle Großmutter, mit einer Farbzeichnung von einem kleinen Kätzchen darauf. Aber ich weiß, wenn ich sie ihr gebe, wird sie vollkommen glücklich sein, denn auch wenn vierundachtzig nun wirklich erwachsen ist, so stimmt ihre Auffassung davon, wer in der Großeltern-Enkel-Beziehung wen beschenkt, im wesentlichen mit meiner überein.
Vor Ben in der Schlange steht mein Cousin Simon, Tante Edies Junge, der anerkanntermaßen schwul ist. Für alle eine arschnackte Tatsache, nur für Tante Edie nicht — ich glaube, wenn befragt, würde sogar Mutti »Na, aber sonnenklar« oder etwas in der Richtung sagen —, die dauernd
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