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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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blöd?«
    »Wieso? Ich war auch mal fast in der Partei.«
    »Was?«
    »Ich wollte rein. Ich war sogar Kandidat.«
    »Wirklich? Wann denn?«
    »Drei Jahre bevor ich in den Westen gegangen bin. Aber sie wollten mich nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Ich habe gesagt, der Staat muss weg.«
    »Und dann?«
    »Nichts und dann. Ich bin als Kandidat der Partei in den Westen gegangen. Absurd, oder?«
    »Ja, das ist absurd.«
    Drei Tage später rief mich mein jüngster Bruder an.
    »Du bist in der Partei?« Er schien sich mit meinem ältesten Bruder wieder vertragen zu haben.
    »Ja.«
    »Bist du bescheuert?«
    »Nein. Und ich finde es scheiße, wenn ihr euch über mich die Mäuler zerreißt.«
    »Sei nicht so selbstgerecht.« Mein Bruder hatte getrunken und war aggressiv. Ich hasste es, wenn er so war.
    »Ich bin nicht selbstgerecht.«
    »Wie kann man nur in dieser scheiß Partei sein?«
    »Das geht dich doch gar nichts an, und bei deinem großen Bruder findest du das doch bestimmt auch nicht so schlimm.«
    »Der war nicht in der Partei.«
    »Aber fast.«
    Ich erzählte ihm, was mein ältester Bruder gesagt hatte. Es war ihm offenbar neu, und ich spürte, wie sehr ihn ärgerte, dass er es von mir erfuhr.
    »Na und. Das ist doch was ganz anderes. Und du bist selbstgerecht und feige, Schwesterchen.«
    »Ja vielleicht. Und du bist betrunken.«
    »Betrunken ist besser als verlogen.«
    »Ich bin nicht verlogen.«
    Ich legte den Hörer auf und heulte. Meine Brüder – sie konnten so gemein und egoistisch sein, und immer wenn sie’s waren, vergaß ich, wie sehr ich sie doch liebte.
    Das Telefon klingelte.
    »Du kannst doch nicht einfach auflegen«, sagte mein Bruder und klang jetzt ganz weich. »Wir müssen doch zusammenhalten.«
    »Tut mir leid.«
    »Mir auch. Vielleicht sollten wir mal was zusammen machen. Den Alten besuchen oder so. Diese scheiß Familie geht doch sonst den Bach runter.«
    »Ja, das machen wir.«
    Und wir besuchten meinen Vater, tranken mit ihm Kaffee aus dem guten Porzellan, aßen Streuselkuchen mit Schlagsahne, redeten belangloses Zeug und waren eine Familie. Danach brachte ich meinen Bruder nach Hause. Er lebte in der Wohnung der Schauspielerin mit der kindlichen Stimme, die er vor ein paar Jahren geheiratet hatte. Sie hatte zwei Töchter von zwei verschiedenen Männern und zwei Katzen namens Bernd und Frau Schmidt. Die Mädchen liebten meinen Bruder. Sie taten es nicht nur, weil er tolle Geschichten für Kinder erfand und mit ihnen Hausaufgaben machte, sondern weil er sie ernst nahm.
    Es war schön, meinen Bruder in diesem Zuhause zu sehen. Es war hell und warm und bunt dort, und er schien glücklich zu sein. Trotzdem trank er sich oft in die Dunkelheit. Dann war er hoffnungslos und wütend, verletzte sich und andere und wurde zu dem Menschenfreundfresser, über den er gerade ein Stück geschrieben hatte.
    »Wenn er nur nicht so viel saufen würde«, seufzte manchmal die Schauspielerin mit ihrer kindlichen Stimme. »Damit macht er noch alles kaputt.«
    Mein jüngster Bruder hatte also seine Familie, und auch meine Freunde bekamen plötzlich Kinder, als hätten sie sich dazu verabredet. Stefan und Susi und sogar der schüchterne Uli waren jetzt Eltern und führten ein anderes Leben. Ein schönes Leben, um das ich sie manchmal beneidete. Ich gönnte meinen Freunden ihr Familienglück, doch manchmal konnte ich es kaum ertragen, weil ich mich in ihrer Vater-Mutter-Kind-Idylle nur noch einsamer und unvollständiger fühlte. Dann machte ich mich rar und meldete mich wochenlang nicht. Ich wusste, dass sie das nicht verstanden und annahmen, ich interessiere mich nicht mehr für sie oder könne ihre Kinder nicht leiden. Ich wusste das und hatte ein schlechtes Gewissen. Und dann meldete ich mich nicht mehr, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte.
     
    Doch dafür traf ich Martin wieder, ich erkannte ihn am Gang. So wie er für kurze Zeit poetisch durch mein Leben geschlendert war, schlenderte er jetzt auch durch den Club. Die Band machte gerade Pause, und ich stand mit ein paar Leuten am Tresen, als ich ihn entdeckte. Ich winkte ihm zu, er zögerte kurz, dann erkannte er mich und kam zu mir. Wir hatten uns fünf Jahre nicht gesehen, doch unabhängig davon, dass er sein Haar jetzt lang und ich meines kurz trug, schienen wir uns kaum verändert zu haben. Er war fast mit seinem Studium fertig und würde bald Lehrer für Kunst und Geschichte sein. Ich konnte mir das gut vorstellen, denn er hatte die Gabe, Leute mit seiner

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