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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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das Papier von der Mitte des Tisches, holte seinen Kugelschreiber aus der Tasche und unterschrieb. Die Band bestand aus fünf Musikern. Ich hatte jetzt also fünf Musiker lang Zeit, mir zu überlegen, was ich tun würde, wenn das Papier bei mir landete.
    Der Sänger schob das Blatt weiter zum Gitarristen.
    Es war richtig, was in dem Papier stand, es gab überhaupt keinen Grund, es nicht zu unterschreiben.
    Der Gitarrist unterschrieb und schob das Blatt zum Keyboarder.
    Aber die Konsequenzen? Was würde passieren, wenn ich es tat?
    Der Keyboarder unterschrieb und schob das Blatt zum Bassisten.
    Und was würden die Jungs hier denken, wenn ich es nicht tat?
    Der Bassist unterschrieb und schob das Blatt zum Trommler.
    Einmal nicht feige sein. Einmal nicht den Kopf einziehen.
    Der Trommler unterschrieb und schob das Blatt zu mir.
    Ich hatte Angst. Ich schämte mich für meinen Kleinmut. Es war richtig, was in dem Papier stand. Ich unterschrieb.
     
    Zwei Tage später wurde ich zum Chefredakteur bestellt. »Das hätten wir nicht von dir erwartet«, sagte er. »Wir würden dir empfehlen, die Unterschrift zurückzunehmen.« Wer ist wir, dachte ich. »Andernfalls müssten wir darüber nachdenken, ob du bei uns noch eine Perspektive hast«, fuhr der Chefredakteur fort. Er sagte diesen Satz seltsam verhalten – so, als traute er den eigenen Worten nicht mehr. So, als ahnte er, dass seine Drohung keinen Sinn mehr haben würde. Nicht meinetwegen, sondern weil es schon zu spät war für solche Drohungen. Ich nahm die Unterschrift nicht zurück, und auch als ich sagte, dass ich aus der Partei austreten wolle, schien das niemanden zu interessieren. Sie kamen nicht mehr zum Nachdenken über meine Perspektive – sie hatten schon ganz andere Sorgen als meine Unterschrift und meine kleine Renitenz.
    Die Leute organisierten sich und wurden mehr, und sie gingen auf die Straßen, ihre Rufe wurden lauter und begannen die stumpfen Reden der Minister zu übertönen, und der Staat bäumte sich noch einmal auf und sank dann erschöpft in sich zusammen. Es war vorbei.
     
    »Eigentlich ist es doch gut, dass der Alte das nicht mehr erleben muss«, sagte mein jüngster Bruder. »Er würde vor die Hunde gehen.« Wir saßen in meiner Wohnung und sahen die persönlichen Dinge meines Vaters durch, um sie untereinander aufzuteilen.
    »Es ging plötzlich so schnell«, sagte ich. »So, als hätte er geahnt, dass es mit dem Land zu Ende geht. Vielleicht wollte er einfach nicht mehr.«
    »Ja, vielleicht«, sagte mein ältester Bruder. »Aber vielleicht war es auch der Krebs, der ihn davor bewahren wollte, mit anzusehen, wie das Land untergeht, das er mit aufgebaut hat.«
    »Das ist doch gequirlte Kacke«, sagte mein jüngster Bruder. »Der eine säuft zu viel, der andere stirbt an Krebs – so ist das Leben.«
    Wir schwiegen. Mein ältester Bruder betrachtete ein Foto meines Vaters, das ich ein paar Wochen vor seinem Tod gemacht hatte. Die Krankheit hatte sich schon in sein Gesicht gekerbt, trotzdem wirkte er entspannt wie selten. »Irgendwann werde ich auch so aussehen.« Er legte das Foto auf seinen Stapel. »Du wirst sentimental«, sagte mein jüngster Bruder kopfschüttelnd. »Der Alte hat dich in den Hintern getreten, und plötzlich willst du aussehen wie er.«
    »Vielleicht ist es sentimental. Aber das ist mein gutes Recht. Ich habe meinen Vater verloren, und mein Land verliere ich jetzt schon zum zweiten Mal.«
    »Es ist auch mein Vater«, sagte mein jüngster Bruder. »Und es ist auch mein Land. Und außerdem will ich das Foto da vielleicht auch haben.«
    »Jetzt hört doch mal auf«, sagte ich. »Ihr redet immer von Familie und dass wir zusammenhalten müssen, und dann macht ihr euch wieder fertig. Und von dem Foto kann ich Abzüge machen, ich hab das Negativ.«
    »Du immer mit deiner scheiß Harmoniesucht.« Mein jüngster Bruder sah mich gereizt an. »Das nervt.«
    »Lass sie in Ruhe. Sie hat ja recht.«
    Wir schwiegen und teilten die Dinge meines Vaters untereinander auf.
    »Ich bin übrigens aus der Partei ausgetreten«, sagte ich irgendwann.
    »Alle Achtung«, höhnte mein jüngster Bruder. »Du bist ja eine von den ganz Schnellen.«
    »Warum bist du ausgetreten?« Mein ältester Bruder schaute mich entgeistert an.
    »Es ist nicht mehr auszuhalten. Es bewegt sich ja nichts. Sie tauschen nur Köpfe aus, sonst nichts.«
    »Es ist falsch«, sagte mein ältester Bruder und schüttelte den Kopf. »Ich würde sofort in die Partei eintreten,

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