Ab jetzt ist Ruhe
umbetten.«
»Umbetten heißt, Sie buddeln meine Mutter aus und buddeln sie bei meinem Vater wieder ein?«
»Wir betten die Urne Ihrer Mutter zu der Ihres Vaters um, ja.«
Der dünne Mann schaute unbeirrt auf seine Mappe. Der Tropfen hing. »Ok«, sagte ich. »Wenn’s sein muss. Sie ist tot, sie wird’s nicht merken.«
Der dünne Mann hob den Kopf, während er gleichzeitig mit dem Handrücken den Schweißtropfen wegwischte. Dann nickte er heftig, als habe er Angst, ich könnte es mir noch einmal anders überlegen, klappte die schwarze Mappe zu, stand auf und reichte mir die Hand. Es war zum Glück die andere.
Bei der Beerdigung stand ich zwischen meinen beiden Brüdern. Eigentlich wie immer, nur hielten wir uns diesmal an den Händen. Ein hoher Funktionär hielt eine Rede voller abgenutzter Worte, dann trugen sie die Orden meines Vaters auf roten Samtkissen zu seinem Grab und spielten den Trauermarsch, den sie immer spielten. Ich hatte diese Beerdigungen schon tausendmal im Fernsehen gesehen, doch die hier war anders. Klar, es war mein Vater, den sie zu Grabe trugen – doch das war es nicht. Irgendwie passte diese seltsame Zeremonie nicht mehr in diese Zeit. Das Land lag doch auch schon im Sterben, und die Band, die hier den Trauermarsch spielte, war ja vielleicht nur die Vorband für eine größere Beerdigung.
Als sie mit dem Begräbnisprotokoll durch waren und die Trauergäste sich verzogen hatten, brachte man die Urne meiner Mutter und setzte sie neben die meines Vaters. Keine Musik. Keine Rede. Nur Stille. Ich stand zwischen meinen Brüdern, wir hielten uns an den Händen und gehörten zusammen.
Eine Woche später machte ich ein Fest. Es gab keinen Anlass, ich hatte einfach nur Lust dazu. Es war schließlich Sommer, und ich wollte den Tod loswerden, der mich jeden Tag empfing, wenn ich die Tür zur Wohnung meines Vaters aufschloss. Katja hatte angeboten, mir beim Ausräumen der Wohnung zu helfen. Ich war froh, dass sie da war. Mit ihr war es leicht und ging schnell, und als die Wohnung leer war und ich zum ersten Mal weinte, hielt sie mich fest. Danach fuhren wir zu mir, ich rief meine Freunde und meine Brüder an, und alle kamen.
»Warum wolltest du hinter dem Sarg deines Vaters gehen?«, fragte Pit irgendwann meinen ältesten Bruder. »Er hat dich doch damals angezeigt.«
»Er ist mein Vater«, sagte mein Bruder.
»Hast du ihm verziehen?«
»Nein, aber ich habe ihn verstanden.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Das ist nicht schlimm«, sagte mein Bruder und betrachtete die große junge Frau, die gerade das Zimmer betrat. Sie war eine Freundin von Pit, und er stellte die beiden einander vor. Ein paar Stunden später ging mein Bruder mit ihr weg. Zwei Tage nach dem Fest rief er mich an.
»Ich habe mich in die DDR verliebt.«
»Schon wieder?«
»Wieso?«
»Das hast du schon mal gesagt.«
»Hab ich das?«
»Ja, damals bei dem Schriftstellertreffen. Da war die Frau an der Bar die DDR , in die du dich verliebt hattest.«
Er konnte sich nicht mehr erinnern.
»Vielleicht werde ich sie heiraten.«
Und während mein ältester Bruder darüber nachsann, ob er nun verliebt war in eine Frau, die er für die DDR hielt, oder in die DDR , die er für eine Frau hielt, bekam ich mit meinem Land ein anderes Problem.
Die Band, mit der ich befreundet war, nahm im Studio gerade ein paar neue Songs auf. Ich ging sie manchmal dort besuchen und schaute ihnen zu. So auch an diesem Abend im September. Doch heute spielten sie nicht. Sie hatten die Instrumente noch nicht mal angefasst. Als ich kam, saßen sie um den Tisch und redeten über ein Blatt Papier, das in der Mitte des Tisches lag. Es war eine Resolution, in der sich bekannte Künstler um den Zustand des Landes sorgten, dem seit Wochen massenweise die Leute wegliefen. Sie warfen der Regierung Ignoranz und Starrheit vor und forderten das Gespräch mit allen, die sich laut beunruhigten.
Es war ein mutiges Papier, ich kannte es bereits. Die Künstler hatten den Sender gebeten, die Resolution im Radio verlesen zu dürfen. Der Sender sagte nein. Die Künstler fragten, ob der Sender dann wenigstens sagen könnte, dass es diese Resolution gab. Nein. Jetzt saß ich also hier, und da lag das Papier. Für die Jungs war es überhaupt keine Frage, dass sie es unterschreiben und bei ihrem nächsten Konzert verlesen würden. Es war für sie keine Frage, obwohl sie wussten, dass ihnen danach Auftrittsverbot oder noch Schlimmeres drohte.
Der Sänger der Band nahm
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