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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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verzeihen müsse und dass wir ihm verziehen. Ich sagte das kitschigste Zeug, dass ich je gesagt hatte, und als ich plötzlich sogar von irgendeinem Gott sprach, der sich um alles kümmern werde, zuckten seine Lippen, als wollte er etwas sagen. Ich ließ das mit dem Gott, schwafelte weiter und hörte erst auf, als er eingeschlafen war und sein Brustkorb sich nur noch leise hob und senkte.
    Dann legte ich seine Hand vorsichtig auf das Laken, sagte: »Mach’s gut, Papa«, küsste ihn auf die Stirn und ging. Es war alles gesagt.
     
    Ich stieg in mein Auto und fuhr zu einem Sommerfest, bei dem eine Band spielte, mit der ich befreundet war. Ich konnte und wollte jetzt nicht allein sein, und Pit war mit seiner Truppe unterwegs.
    Es war schon spät, als ich kam, die Band spielte gerade ihren letzten Song. Ich kaufte mir ein Bier am Kiosk, stellte mich ein wenig abseits und sah mir die Leute im Publikum an. Normales Publikum und ein paar Fans, die immer kamen, wenn die Band spielte. Wenn ihr wüsstet, dachte ich. Mein Vater stirbt heute Nacht, dachte ich.
    Als die Jungs fertig waren, ihre Instrumente einpackten und überlegten, wo sie jetzt noch etwas trinken könnten, schlug ich vor, an einer Tankstelle zu halten und danach zu mir zu fahren. Sie waren einverstanden.
    »Was ist los mit dir?«, fragte mich der Gitarrist leise, als wir in meiner Wohnung waren. »Du bist so blass.« Ich erzählte ihm von meinem Vater und bat ihn, den anderen nichts davon zu sagen. Er nickte betreten. Wir tranken und redeten und hörten Musik. Es wurde schon hell, als die Jungs wieder gingen. Ich legte mich hin und schlief sofort ein. Als am nächsten Morgen das Telefon klingelte, wusste ich, dass mein Vater nicht mehr aufgewacht war.
    Ich rief meinen jüngsten Bruder an. »Da waren es nur noch drei«, sagte er und machte sich die nächste Flasche Bier auf.
    Ich rief meinen ältesten Bruder an. »Es fing gerade an, gut zu werden mit ihm«, sagte er. »Jetzt sieht er nicht mehr, wie ich ihm immer ähnlicher werde.«
    Ich rief Vera an. Sie weinte. Ich konnte nicht weinen. Ich hatte keine Zeit. Ich musste mich ja um die Beerdigung und um seine Wohnung kümmern. Das kommt schon noch, dachte ich.
    Am nächsten Tag kam ein dünner Mann mit dünnen Haaren und schwarzer Krawatte zu mir nach Hause, um die Beerdigung zu besprechen. Als hoher Parteifunktionär sollte mein Vater ein Staatsbegräbnis bekommen. Das passte mir nicht, doch ich konnte es nicht ändern, und wahrscheinlich hätte sich mein Vater sogar darüber gefreut.
    »Wir schlagen vor, die Familie legt ein Blumengebinde nieder«, sagte der dünne Mann.
    »Wir wollen kein Blumengebinde. Wir bringen unsere eigenen Blumen mit.«
    »Ich verstehe.« Der dünne Mann fuhr sich mit der Hand durch das dünne Haar. »Es gibt aber ein Protokoll, und wir schlagen vor …«
    »Wir wollen kein Blumengebinde«, unterbrach ich ihn.
    »Ich verstehe. Ich denke, wir können das so machen«, sagte der dünne Mann, kritzelte etwas in seine schwarze Mappe, und ich sah die winzigen Schweißperlen auf seiner Stirn. Draußen waren fast dreißig Grad, und er musste hier im schwarzen Anzug herumsitzen. Doch mein Mitleid hielt sich in Grenzen. »Dann wäre noch die Sache mit Ihrer Mutter zu klären«, sagte er, ohne den Blick zu heben. »Welche Sache?«, fragte ich und beobachtete, wie sich eine Schweißperle löste, sich gemächlich ihren Weg in Richtung Nase bahnte und dabei langsam zu einem Tropfen heranwuchs.
    »Ihr Vater wünscht, bei Ihrer Mutter beigesetzt zu werden.«
    »Ja, ich weiß. Und?«
    »Nun …« Der dünne Mann fummelte nervös an seinem Kugelschreiber und ließ seine schwarze Mappe nicht aus den Augen. »Ihr Vater wird an einer Stelle beigesetzt, die den Mitgliedern des Zentralkomitees unserer Partei vorbehalten ist, und Ihre Mutter liegt anderswo auf diesem Friedhof.« Der Schweißtropfen hatte die Nasenwurzel passiert und rann jetzt etwas entschlossener die Nase hinunter.
    »Ja und? Dann begraben wir ihn eben bei meiner Mutter.«
    »Das ist leider nicht möglich, da ZK -Mitglieder dort nicht …«
    »Warum denn nicht?«
    »Das Protokoll sieht das nicht vor.« Der Tropfen erreichte die Nasenspitze und verharrte dort, als müsse er nachdenken.
    »Und was schlagen Sie vor?«
    »Nun«, sagte der dünne Mann, dessen Blick auf der Mappe festgetackert zu sein schien. Der Schweißtropfen hatte es sich überlegt und hängte sich beherzt an die Nasenspitze. »Wir könnten Ihre Mutter

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