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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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vom Dachboden, von Tamás und Lászlo, vom Dichter mit der weiten Stirn und bestellte ihm schließlich Grüße von meinem ältesten Bruder.
    »Quatsch«, sagte er gereizt. »Du kannst mir doch nicht erzählen, dass der jemanden grüßen lässt. Der ist doch viel zu sehr damit beschäftigt, sich selbst zu grüßen.«
    »Du bist ungerecht.«
    »Du hast doch keine Ahnung.«
    Er hatte recht. Ich hatte keine Ahnung, die Grüße waren erfunden, und ich war beleidigt, weil er mein Geschenk nicht wollte. Ich ging. Und langsam ging auch der Sommer. Inzwischen waren meine Freunde aus Ungarn zurückgekommen, und wir ließen uns durch die letzten Ferientage treiben. Wir fuhren mit der S-Bahn aus der Stadt, badeten in schimmernden Seen, lasen in unseren gestohlenen Büchern, und abends gingen wir tanzen oder saßen in verrauchten Kneipen und redeten dummes Zeug. Alles war wie immer. Alles war leicht.
     
    Im September begann das letzte Jahr vor dem Ernst des Lebens. Ich würde Abitur machen und meine Lehre beenden. Noch hatte ich keine Idee, was ich danach tun wollte. Doch die meisten von uns hatten keine Idee, also war ich nicht beunruhigt.
    Die Tage wurden kühler und kürzer, und bald stand ich wieder früh um sechs mit all den anderen grauen Figuren fröstelnd auf dem Bahnsteig, um mich dann in die überfüllte und nach kaltem Rauch stinkende S-Bahn schieben zu lassen, die mich zur Berufsschule brachte.
    »Ey du!« Jemand tippte mir auf die Schulter. Ich drehte mich um. Da stand ein großer, kräftiger Bursche mit strohblondem, langem Haar und grinste mich breit an.
    »Finke!«
    »Du sagst es.«
    »Was machst du denn hier?«
    »Hm, lass mich nachdenken«, sagte er und legte seine Stirn in Falten. »Ich glaube, ich reise heute mal zu meinen Ländereien und sehe nach dem Rechten.«
    Ich lachte. Er war immer noch der Alte.
    »Du musst jetzt achtzehn sein, oder?« Ich nickte.
    »Und du zwanzig.«
    »So ist es. Wollen wir heiraten?«
    »Klar. Wann?«
    »Am Wochenende.«
    »Gute Idee.«
    Wir verabredeten uns, und er stieg aus. Finke. Unglaublich. Mein Grinsen verschwand erst, als ich in der Schule war.
    Am Wochenende trafen wir uns nachmittags in einem Café am Alexanderplatz, in dem sich gern Musiker, Künstler und verkrachte Existenzen die Zeit vertrieben. Finke war Autoschlosser und spielte Bass in einer Band.
    »Wir sind grottenschlecht, aber das sind wir dafür richtig gut«, sagte er.
    »Wie heißt denn deine Band?«
    »Mal so, mal so. Wir ändern das ungefähr wöchentlich.«
    »Und wie heißt sie jetzt gerade?«
    »Walter und die Komplikationen.«
    »Und was macht ihr für Musik?«
    »Wir spielen bloß nach.«
    »Was denn so?«
    »Stones und so.«
    Wir redeten bis in die Nacht, dann brachte Finke mich nach Hause, gab mir die Hand, und wir verabredeten uns für das nächste Wochenende. Finke. Unglaublich. Mein Grinsen verschwand erst, als ich eingeschlafen war.
    Am nächsten Wochenende besuchte mich Finke zu Hause. Er kam abends mit dem Fahrrad und brachte eine Flasche Rotwein mit. Ich führte ihn ins Wohnzimmer, wo mein Vater Zeitung las. Finke reichte ihm die Hand. Mein Vater blickte über seine Lesebrille nach oben, schaute Finke argwöhnisch an und nickte nur kurz. Dann widmete er sich wieder seiner Lektüre. Mir war unwohl. Es war das erste Mal, dass ich in seiner Anwesenheit Besuch von einem Jungen hatte.
    Ich holte aus der Küche zwei Gläser und einen Korkenzieher, und wir gingen in mein Zimmer. Ich legte Pink Floyd auf, Finke öffnete die Flasche, füllte die Gläser, und wir stießen an. Wir saßen auf meinem Bett und hörten Musik. Plötzlich stand mein Vater in der Tür.
    »Die Musik ist zu laut«, sagte er unwirsch. »Ich hab zu arbeiten.«
    Ich stand auf und drehte den Ton etwas leiser. Mein Vater ging.
    »Bisschen gestresst, dein alter Herr, was?«
    »Bisschen ist gut.«
    »Was hat er denn?«
    »Keine Ahnung.«
    Wir lasen die Texte der Songs mit: »And I am not frightened of dying, any time will do, I don’t mind.«
    »Hast du Angst vorm Tod?«, fragte ich Finke.
    »Nö. Man merkt ja nicht, dass man tot ist, oder?«
    »Stimmt.« Wir schwiegen und hörten weiter zu.
    Mein Vater rief meinen Namen. Ich ging ins Wohnzimmer.
    »Wie lange gedenkt der junge Mann denn zu bleiben?«, fragte er grimmig.
    »Keine Ahnung. Er ist ja gerade erst gekommen.«
    »Die Musik ist immer noch zu laut.«
    »Sie ist nicht laut, Papa.«
    »Mach leiser!«
    Ich ging wieder in mein Zimmer.
    »Tot sein ist nicht schlimm«, sagte Finke,

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