Ab jetzt ist Ruhe
sein.«
Wir schnappten uns noch ein paar belegte Brötchen für den Weg und machten, dass wir wegkamen.
Mit dem Nachlassen des Regens besserte sich auch unsere Laune. Dennoch beschlossen wir, am nächsten Tag zurückzufahren. Eine Nacht mussten wir noch überstehen. Wir überstanden sie im Waschraum des verlassenen Campingplatzes. Dort breiteten wir unser Zelt zum Trocknen aus, wickelten uns in unsere Schlafsäcke, tranken französischen Cognac und rauchten englische Zigaretten. Es hätte schlimmer sein können.
Zurück in Berlin, umarmten wir uns und gingen unserer Wege. Stefans Weg führte in die Armeekaserne, meiner in die Setzerei einer großen Tageszeitung.
Mein Herz klopfte, als ich die Werkstatt betrat. Die Luft war stickig, es roch nach heißem Metall und Maschinenöl. Ich sah die Rücken der etwa zehn Männer, die zu beiden Seiten des Raumes an den Setzmaschinen saßen. Manche ganz gerade und gespannt, andere lässig zurückgelehnt. Ihre Hände tanzten über die Tastaturen, als folgten sie einer eigenen Choreographie. Die Arme der Maschinen hoben und senkten sich fast gutmütig, und mir gefiel das Geräusch, das sie machten – sie klapperten freundlich und atmeten warm. Meine Angst schwand.
»Na, Mädchen?« Neben mir stand plötzlich ein großer, bulliger Mann und sah mich scheel von der Seite an. »Wer hat dich denn hier ausgesetzt?«
»Ich soll hier heute anfangen.«
»Anfangen? Hier? Dazu bist du doch noch viel zu klein!« Der Bullige grinste schief und führte mich zu einem kleinen, drahtigen Mann, der an einem großen Tisch in der Mitte der Werkstatt stand. Er kontrollierte eine in Blei gegossene Zeitungsspalte, die ihm einer der Männer gerade gebracht hatte.
»Meister«, sagte der Bullige. »Wir haben ein Kind bekommen – es ist ein Mädchen!«
Der Meister hob den Kopf und musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. »Du bist die Abiturientin, oder?«
Ich nickte.
»Willst wohl mal die Arbeiterklasse studieren, was?«
»Nö, ich will hier bloß arbeiten.«
»Hast du das gehört, Dieter?«, wandte sich der Meister an den Bulligen. »Sie will hier bloß arbeiten!«
»Bloß?«
»Ja,« seufzte der Meister. »Das hat sie gesagt.«
Auch der Bullige schüttelte traurig den Kopf, ging und verschwand hinter seiner Maschine.
»Na dann«, sagte der Meister, wieder an mich gewandt. »Schichtbeginn ist um sechs, Mittagspause halb zwölf, Feierabend halb drei und die Garderoben sind hinten durch, um die Ecke.« Er beugte sich wieder über seine Arbeit, und ich meinte den Anflug eines Grinsens auf seinem Gesicht zu erkennen.
In der Garderobe tauschte ich meine Klamotten gegen eine Latzhose und ein Baumwollhemd, steckte meine Haare hoch, verschloss den Spind mit einem Vorhängeschloss, das ich mitgebracht hatte, und kehrte in die Setzerei zurück.
»So«, sagte der Meister und begutachtete meine Arbeitskleidung. »Das ist in Ordnung. Aber die Haare müssen ab.«
»Was?«
»Die müssen ab. Oder siehst du hier irgendwen mit langen Haaren?«
»Aber ich hab sie doch hochgesteckt.«
»Hochgesteckt reicht nicht, die müssen ab. Vorschrift! Oder, Jan?«
Ein etwas jüngerer Mann hatte sich zu uns gesellt, zog eine Zigarette hinter dem Ohr hervor und klemmte sie zwischen seine Lippen, die von einem dünnen schwarzen Bart umrahmt waren.
»Stimmt«, sagte er und nickte beifällig. »Die Maschine skalpiert dich, wenn die Haare da reinkommen.«
Es schnürte mir die Kehle zu.
»Der Kollege ist für den Arbeitsschutz zuständig«, erklärte mir der Meister ungerührt. »Er wird dich einweisen, bevor du hier anfängst, bloß zu arbeiten.«
Ich folgte dem Bärtigen in eine ruhige Ecke der Setzerei, wo er sich die Zigarette anzündete, mir die Arbeits- und Brandschutzvorschriften erklärte und mich unterschreiben ließ.
»Mütze reicht«, sagte er schließlich. »Oder so ein hässliches Haarnetz. Aber Mütze ist besser.«
Mir fiel ein Stein vom Herzen.
»Sie werden es dir nicht leichtmachen«, sagte der Bärtige. »Sie machen es niemandem leicht, der hier anfängt. Und du bist ein Mädchen, dich werden sie besonders gern verarschen.«
»Danke.«
»Kein Problem«, sagte der Bärtige, gab mir ein hässliches Haarnetz und begleitete mich zurück zum Meister. Der führte mich zu einem Techniker, den er Klaus nannte und aufforderte, mich einzuweisen.
Der Techniker war wortkarg und zeigte mir die Handgriffe an der Setzmaschine. »Sie nennen sie das achte Weltwunder«, murmelte er. Mehr sagte er
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