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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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nicht. Ich war froh, dass er nicht redete.
    In der Mittagspause folgte ich den Männern in die Kantine und setzte mich zu ihnen an den Tisch. Die meisten ignorierten mich, nur ein paar von ihnen kommentierten meine Anwesenheit mit mehr oder weniger witzigen Bemerkungen, zu denen ich mehr oder weniger grinste. Es war nicht schlimm.
    Nach der Pause ließ mich der Meister an der Maschine üben. Manchmal kam einer der Männer vorbei, sah mir über die Schulter oder half mir, wenn ich mich blöd anstellte.
    »Du wirst dich schon einleben«, sagte ein Dicker.
    »Der Meister ist kein Unmensch«, sagte einer mit Brille.
    »Vergiss nicht deinen Einstand«, sagte einer mit Glatze. Ich holte aus der Kantine zehn Eis für alle, worauf mich die Männer auslachten und mir erklärten, dass das wohl ein Witz sei und sie unter einem Einstand etwas anderes verstünden.
    Ich holte aus der Kantine eine Flasche Wodka und stieß mit ihnen an.
    »Zum Kollektiv gehörst du erst, wenn du die Norm bringst«, sagte der Meister.
    »Zum Kollektiv gehörst du erst, wenn du mit ihnen nach der Schicht einen trinken gehst«, flüsterte mir der Bärtige zu. Ich folgte seinem Rat, ging mit den Männern nach der Schicht einen trinken, wobei ich nur einen trank und sie ein paar mehr. Am nächsten Tag kaufte ich mir eine Mütze, und nach zwei Wochen gehörte ich zum Kollektiv.
    Ich fühlte mich wohl mit meinem neuen Leben. Es war anstrengend, doch es machte Spaß. Ich verdiente mein eigenes Geld und hatte das Gefühl, etwas Nützliches zu tun, auch wenn ich den Inhalt der Zeitung, die ich da setzte, zum großen Teil langweilig fand. Die Männer brachten mir bei, dass man am besten und schnellsten arbeitete, wenn man den Kopf ausschaltete.
    »Dann machst du auch die wenigsten Fehler«, sagte der Bärtige. Also schaltete ich den Kopf aus und dachte an meiner Maschine über andere Dinge nach. Zum Beispiel über eine eigene Wohnung.
     
    Es wurde Zeit, dass ich zu Hause auszog, also ging ich nach Feierabend auf Wohnungssuche. Die meisten leerstehenden Wohnungen gab es in Prenzlauer Berg. Wenn man eine fand und dem Wohnungsamt meldete, hatte man die Chance, sie zu bekommen, vorausgesetzt, sie war in einem schlechten Zustand, und man verpflichtete sich, sie selbst instand zu setzen.
    In einem Hinterhof fand ich sie: ein großes Zimmer, Küche mit Duschkabine und das Klo eine halbe Treppe tiefer.
    Ich ging zum Wohnungsamt – ein paar Wochen später unterschrieb ich den Mietvertrag und bekam die Schlüssel.
    Die Wohnung lag im vierten Stock, und es gab einiges zu tun: Die Tapeten hingen in mehreren Schichten von den Wänden, die Fenster waren undicht, und irgendein Idiot hatte hässliches Linoleum auf die Dielen geklebt. Ich war handwerklich unbegabt, doch das hier wollte ich alleine schaffen.
    Meinem Vater erzählte ich noch nichts davon – ich hatte Angst, ihn zu enttäuschen. Manchmal sprach er davon, wie schwer es ihm fallen würde, mich eines Tages gehen zu sehen. »Du bist ja meine letzte Hoffnung«, sagte er dann. Ich fand es schlimm, seine letzte Hoffnung zu sein, doch ich wollte sie ihm nicht nehmen. Also hielt ich den Mund.
     
    Ich ging zu meinem jüngsten Bruder, um mir eine Leiter zu borgen. Er erzählte mir von einem Kinderhörspiel, das er geschrieben hatte. Es handelte davon, dass plötzlich alle Uhren verschwinden. Ein Mann vermisst seine Armbanduhr, die Wurstverkäuferin hat plötzlich Zeit, ihre eigene Wurst zu kosten, und dem Bäcker verbrennen die Brötchen. Die Zeit bleibt stehen, die Welt ist aus den Fugen.
    »Es geht um wunderliche Zeiten, in denen die Wunder nicht alle werden«, sagte mein Bruder und nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche. Dann beschwerte er sich über die Idioten, die ihn nur Kinderhörspiele machen ließen und seine ernsten Sachen nicht haben wollten.
    Meinem ältesten Bruder schien es besserzugehen. Er hatte im Westen inzwischen seinen ersten Gedichtband veröffentlicht. Das Buch hieß wie das Gedicht, das er an einem 27 . September geschrieben hatte. An diesem Tag wurde das Freizeichen im westdeutschen Telefonnetz in einen Dauerton geändert – ein belangloser Vorgang an einem bedeutungslosen Tag. Auch mein ältester Bruder tat an diesem Tag nichts Besonderes und schrieb auf, was er alles nicht getan hatte. Die Literaturkritiker fanden dieses Gedicht über die Bedeutungslosigkeit sehr bedeutend. Ein großer Dichter, sagten sie und gaben meinem Bruder einen Preis dafür.
    »Ich habe Gedichte geschrieben, die

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