Ab jetzt ist Ruhe
und ich fühlte mich elend.
»Egal.« Mein Vater straffte sich wieder. «Du hast dich entschieden, und du bist auf einem richtigen Weg. Zeigst du mir deine Wohnung?«
Mein Vater. Ich machte seinetwegen den größten Kompromiss meines bisherigen Lebens – doch irgendwie war er es auch wert. Das dachte ich in diesem Augenblick. Doch ich glaubte mir kein Wort. Wir fuhren zu meiner Wohnung.
»Das ist ein Drecksloch«, sagte mein Vater. »Hier kann man nicht leben.«
»Das ist kein Drecksloch, ich muss sie nur renovieren. Und sie kostet bloß dreißig Mark.«
»Das ist kein Grund. Hier kann man nicht leben. Ich werde dir eine andere Wohnung besorgen.«
»Ich will keine andere Wohnung, Papa.«
»Du wirst hier nicht einziehen.« Der schneidende Ton, der keinen Widerspruch duldete und mit dem er jeden in seine Grenzen wies, der sich ihm in den Weg stellte – da war er wieder. Und er sollte recht behalten. Noch bevor das Jahr zu Ende ging, hatte mein Vater eine Wohnung besorgt. Wir fuhren durch einen grauen Schneetag in eine Neubausiedlung, die noch weiter weg war als das Haus, in dem ich mit meinem Vater lebte. Am Ende der Welt. Die Wohnung lag in einem Haus, das gerade fertig geworden war – es roch noch nach Mörtel und Tapetenkleister.
»Und?« Mein Vater sah mich erwartungsvoll an. »Was sagst du?«
»Hier kann ich nicht leben.«
»Was?«
»Ich krieg hier keine Luft, Papa. Ich will hier nicht wohnen.«
»Ich begreife das nicht«, sagte mein Vater und schüttelte traurig den Kopf. »Ich dachte, ich mach dir eine Freude. Jeder andere wäre froh, eine solche Wohnung zu haben. Viele warten Jahre darauf.« Er tat mir leid. »Na gut, Papa. Ich nehme die Wohnung.« Er atmete auf.
Ich nahm die Wohnung, doch ich zog nicht ein. Stattdessen setzte ich eine Annonce in die Zeitung und bot sie zum Tausch an. Kurz darauf hatte ich zwei Zimmer mit Ofenheizung, Bad und Balkon in Pankow.
Mein Vater wütete, war traurig und wütete nochmals – ich hielt es aus, und irgendwann war es gut. Den Schlüssel für die andere Wohnung brachte ich zurück zum Wohnungsamt und trug mein Kofferradio glücklich in mein neues Zuhause.
Auch hier musste ich renovieren. Unter den Tapetenschichten klebten ganze Jahrgänge des »Völkischen Beobachters« wie Pech an der Wand. Ich strich weiße Farbe darüber, doch die Druckerschwärze war stärker und suppte braun durch. Fluchend fuhr ich in ein Malergeschäft und kaufte die billigste Mustertapete. Die wollte ich verkehrt herum an die Wände kleben, um sie dann zu streichen. Doch so weit sollte es nicht kommen, denn die Tapeten fielen wieder ab. Ich gab den dreckigen Nazizeitungen die Schuld daran und teilte diese Erkenntnis am nächsten Tag mit den Kollegen.
»Blödsinn«, polterte der Bullige. »Es ist die Tapete! Was klebst du die auch verkehrt rum dran, das hält doch nie!«
»Ich schätze, es ist der Leim«, erklärte der Bärtige und fuhr sich mit den Fingern nachdenklich durch seine dünnen Flusen unterm Kinn.
»Nur mit Abitur hat noch keine Tapete gehalten«, schloss der Meister die Unterhaltung. »Wir sehen uns das am Wochenende mal an.«
Sie kamen am Wochenende, sahen es sich an, und am Sonntagabend war meine Wohnung renoviert. Eine Woche später halfen sie mir beim Umzug. Mein Vater hatte zwei Kisten Bier besorgt und gab sich kumpelhaft. Es war mir peinlich, doch meinen Kollegen schien das zu gefallen. Als die Möbel und Kisten im Umzugsauto verstaut waren, verabschiedete ich mich von meinem Vater. Er sah alt aus.
»Kommst du mich besuchen?«, fragte er.
»Ja klar.«
»Wann?«
»Nächstes Wochenende?«
»Gut. Pass auf dich auf.«
»Mach ich.«
Er gab mir die Hand. Sie war groß und warm, und ich versuchte mich daran zu erinnern, wann ich sie zuletzt so gespürt hatte. Es fiel mir nicht ein, es war zu lange her.
Am Abend saß ich zwischen meinen Kisten, rauchte, trank Rotwein, hörte Pink Floyd und stellte mir vor, ich würde gefilmt. In meiner Phantasie entsprach ich jedem Klischee von Jugend und Unabhängigkeit, das ich kannte. Nur die Ausstattung war falsch, denn ich befand mich noch immer im Inventar meiner Kindheit. Ich lehnte mit dem Rücken am Schlafzimmerschrank meiner Eltern und schaute auf die Regalbretter, auf denen schon die Schulbücher meiner Brüder gestanden hatten. Ich mochte diese Möbel nicht, sie passten nicht in mein neues Leben, und für sentimentale Gefühle war ich zu jung. Irgendwann würde ich sie rausschmeißen. Alle.
Nur mein Bett hatte
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