Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
Vom Netzwerk:
zu den beiden zurückkehrte, redeten sie Englisch miteinander und lachten. Der Whisky hatte sich warm in das Gesicht meines Vaters gelegt, und ich erwischte ihn, wie er der schönen jungen Rose einen anerkennenden Blick hinterherwarf, als sie das Geschirr in die Küche trug.
    »Wir haben uns etwas überlegt«, sagte mein Vater, das Whiskyglas in der einen und einen schmalen Zigarillo sehr lässig in der anderen Hand. »Ich muss morgen wieder nach Berlin, aber du kannst noch zwei Tage hierbleiben und fliegst dann alleine zurück.«
    »Was?«
    »Siehst du?«, wandte sich mein Vater mit gespielter Enttäuschung an Willy. »Sie glaubt mir nicht.« Der schaute belustigt, zog dann eine Augenbraue hoch und sah mich vorwurfsvoll an. »Du willst wohl nicht bei deinem alten Großvater bleiben, Kleines?«
    »Natürlich will ich«, beeilte ich mich zu sagen. Ich konnte nicht so recht glauben, dass dieses Angebot wirklich ernst gemeint war.
    »Na also«, nickte mein Vater zufrieden und ließ sich von Willy das Glas noch einmal mit leuchtendem Whisky füllen. »Dann machen wir das so.«
    »So machen wir das«, sagte Willy, und die beiden Männer prosteten mir amüsiert zu. Als sie ein weiteres Glas geleert hatten, bestellte Rose uns ein Taxi, und mein Vater und Willy umarmten sich zum Abschied. Das hatten sie noch nie getan.
    »Warum taugen die Stiefväter in dieser merkwürdigen Familie eigentlich mehr als die richtigen?«, seufzte mein Vater, als wir im Taxi saßen. Er richtete die Frage an das Fenster, hinter dem die spärlichen Lichter der nächtlichen Vorstadt an uns vorbeiglitten.
    »Quatsch, Papa.« Ich legte meine Hand auf seine. Er entzog sie mir. »Doch, doch«, sagte er und straffte sich, als verstünde er jetzt erst den Sinn seiner eigenen Worte. »Die Väter haben alle versagt.«
    Es verletzte mich, dass er seine Hand weggezogen hatte, also schwieg ich. Sollte er diesen Satz doch behalten, wenn er ihn behalten wollte. Wir redeten in dieser Nacht nicht mehr miteinander.
     
    Am nächsten Morgen war ich vor meinem Vater wach. Ich stand leise auf, ging in die Küche und kochte mir einen Kaffee. Ich versuchte mir vorzustellen, dass diese Wohnung mir gehörte und dies hier mein Alltag war. In London. Im Westen. Doch das hier war eine hässliche Wohnung mit niedriger Decke, blassen Möbeln, und der Kaffee schmeckte auch komisch – ich verwarf den Gedanken wieder.
    Nebenan hörte ich das Husten meines Vaters und das Zischen seines Asthmasprays. Er zog die Vorhänge zurück, öffnete das Fenster, inhalierte noch einmal tief aus der Pumpe und erschien kurz darauf in der Küchentür. Er war blass und sah verwüstet aus.
    »Das war doch schön gestern, oder?«, sagte er, als könne er mit diesem Satz seine verlorene Erscheinung relativieren. Entweder hatte er den letzten Teil des Abends vergessen, oder er wollte testen, ob ich mich noch daran erinnerte.
    »Ja«, antwortete ich so unbekümmert wie möglich. »Es war schön.«
    »Prima. Dann geh ich mal duschen«, sagte er erleichtert und verschwand im Bad. Ich deckte den Frühstückstisch, schlug ein paar Eier in die Pfanne, machte Toast und brühte frischen Kaffee auf. Als mein Vater aus dem Bad kam, wirkte er frisch und aufgeräumt. Die Farbe war in sein Gesicht zurückgekehrt, er war rasiert und roch gut. Er war wieder da.
    »Ich weiß, was wir heute machen«, sagte er, während er gutgelaunt Butter auf seinem Toast verteilte. »Heute zeige ich dir mal das andere London, damit du nicht auf dumme Gedanken kommst.« Es sollte scherzhaft klingen, doch ich durchschaute meinen Vater. »Machst du dir etwa Sorgen, dass ich hierbleibe, Papa?« Er sah mich prüfend an. »Sollte ich?«
    »Blödsinn!«
    »Na, umso besser.«
    Nach dem Frühstück gingen wir durch heruntergekommene Straßen im East End, liefen durch den schäbigen Teil der Docklands, und mein Vater zeigte mir, wo die Brixton Riots stattgefunden hatten. An einem Zeitungsstand wies er mich auf das erschütternde Foto eines Aidskranken auf dem Titelblatt eines Boulevardblattes hin und steckte einem elend aussehenden Junkie, der am Straßenrand herumlungerte, ein paar Münzen zu. Mein Vater machte seine Sache gut. Wäre die Szenerie nicht so deprimierend gewesen, hätte ich mich bei seiner Vorstellung glänzend amüsiert.
    Am Nachmittag begleitete ich ihn zur DDR -Botschaft, wo er noch jemanden treffen wollte, bevor er zurückflog. »Mach mir keinen Kummer«, sagte er, als wir uns verabschiedeten. »Ich verlass mich auf

Weitere Kostenlose Bücher