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Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Titel: Abaddons Tor: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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seine letzten Atemzüge nicht in dem Glauben aushauchen, sein Schiff habe einfach nur versagt.
    Sachte schob sie die Hand des Mechs in das Loch, spannte sich an und schälte die Frachtluke auf. Die langen Metallstreifen wirkten wie eine Blüte. Als die Öffnung groß genug war, fasste sie die Ränder mit beiden Händen und zog sich in den Frachtraum hinein. An den Wänden und auf dem Boden standen Vorratskisten, die von Elektromagneten an Ort und Stelle gehalten wurden. Eine war kaputt, ein Opfer der Katastrophe. Eine Wolke geriffelter Proteinpackungen schwebte frei in der Luft. Die LED auf der Tafel neben der inneren Luftschleuse war grün, also war der Zugang zur Frachthalle nicht gesperrt. Warum sollte er auch gesperrt sein? Sie drückte auf den Knopf, um die Luftschleuse zu betreten, und setzte die Prozedur in Gang. Sobald das grüne Licht aufflammte, zog sie die Hände aus dem Mech und nahm den Helm ab. Nirgends ertönten Alarmsirenen, nirgends waren aufgeregte oder drohende Stimmen zu hören. Sie war eingedrungen, ohne irgendjemanden auf sich aufmerksam zu machen. Ihr Grinsen war so breit, dass es wehtat.
    Sie legte den Mech wieder an, öffnete die Innentür der Luftschleuse und hielt inne. Immer noch kein Alarm. Melba stieß sich sachte ab und drang in das feindliche Territorium vor.
    Die Rosinante war vom Reaktor aus Stockwerk um Stockwerk wie ein Turm aufgebaut: Maschinendeck, Werkstatt, Messe, Mannschaftskabinen und Krankenstation, Lagerräume und die Hauptluftschleuse, darüber das Operationsdeck und ganz vorn die Pilotenkanzel. Unter Schub lagen die Stockwerke senkrecht übereinander. Ohne Schub gab es keine bevorzugte Richtung.
    Sie musste sich jetzt entscheiden. Die Frachthalle war dem Maschinenraum und dem Reaktor recht nahe. Sie konnte dort eindringen und den Reaktor überladen. Oder sie konnte hinaufsteigen, die Crew überrumpeln und vom Operationsdeck aus die Selbstzerstörung des Schiffs aktivieren.
    Sie holte tief Luft. Einschließlich Holden lebten vier Menschen auf der Rosinante . Sie wusste nicht, ob die Dokumentarfilmer noch an Bord waren. Mindestens zwei Besatzungsmitglieder hatten eine militärische Ausbildung absolviert und besaßen Gefechtserfahrung. Im Nahkampf konnte sie die beiden vielleicht ausschalten, wenn sie die Gegner überraschen oder nacheinander angehen konnte.
    Das Risiko war zu hoch. Der Reaktor war das nächste und einfachste Ziel, das sie zudem durch die Frachthalle erreichen konnte. Sie zog sich durch die Korridore, die sie nur aus Simulationen kannte, zum Reaktor, wo der Tod des Schiffs seinen Anfang nehmen sollte.
    Als sie die Luke des Maschinendecks öffnete, sah sie eine Frau über einem geöffneten Steuerpult schweben, in einer Hand einen Lötkolben und in der anderen eine Drahtspule. Sie hatte den gestreckten Körperbau und den etwas zu dicken Kopf der Menschen, die unter niedriger Schwerkraft aufgewachsen waren. Braune Haut, das dunkle Haar zu einem praktischen Knoten zurückgebunden. Naomi Nagata. Holdens Geliebte.
    Auf einmal verspürte Melba den Drang, sich den Mech-Anzug vom Leib zu reißen, die Zunge unter dem Gaumen kreisen zu lassen und sich dem Rausch hinzugeben. Sie wollte den schmalen Gürtlerhals mit bloßen Händen packen und spüren, wie die Knochen brachen. Damit hätte ein jahrelanger Rachetraum einen greifbaren, perfekten Höhepunkt gefunden. Doch auf dem Schiff befanden sich noch zwei weitere Crewmitglieder, deren Aufenthaltsort sie nicht kannte. Auf einmal war wieder die Angst da, die sie schon in dem schäbigen Casino in Baltimore empfunden hatte. Nach dem Drogenrausch war sie hilflos am Boden gekrochen, während die Leute an die Tür pochten, weil sie herein wollten. Sie konnte sich den Zusammenbruch erst erlauben, wenn sie wusste, wo alle waren.
    Naomi blickte auf, als sie die Tür hörte. Zuerst lag Freude in den dunklen Augen der Frau, als rechnete sie mit einer angenehmen Überraschung, dann kam der Schock, dann kalte Wut.
    Einen Moment lang bewegte sich keine der beiden Frauen.
    Dann ging Naomi mit einem Schrei auf Melba los und wirbelte vor sich die Drahtspule herum. Melba wollte ausweichen, doch der unförmige Mech, der obendrein nur langsam reagierte, behinderte sie. Der Draht traf mit einem Geräusch, als sei ein Ziegelstein auf den Boden gefallen, ihre linke Wange, und es dröhnte im Kopf. Sie hob den Arm des Mechs, um den Angriff abzublocken, und traf die Rippen der Gürtlerin. Die Frauen drehten sich umeinander. Melba tastete nach

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