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Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Titel: Abaddons Tor: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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vorangekommen. Sie fuhr mit dem Aufzug gleich zwei Ebenen hinunter. Die beiden redeten noch, aber nicht mehr über sie. Stanni spielte mit dem Gedanken, sich in Soledad zu verknallen. Mit lakonischen Sätzen im Gürtler-Dialekt riet Ren davon ab. Ihr Stellvertreter war ein kluger Mann.
    Der Aufzug hielt an, und drei Männer, allesamt Soldaten, stiegen ein. Melba zog sich an die Wand zurück, um ihnen Platz zu machen. Einer nickte ihr höflich und dankbar zu. »Marcos« stand auf seinem Namensschild. Sie nickte zurück, dann starrte sie ihre Füße an und entzog sich den Blicken der Männer. Die Uniform kam ihr vor wie ein Kostüm. Obwohl sie genau wusste, dass ihr keine Gefahr drohte, fühlte sie sich, als könnten die Soldaten ihre Verkleidung durchschauen, wenn sie einen prüfenden Blick auf sie warfen. Als sei ihr die eigene Vergangenheit auf die Haut geschrieben.
    Ich bin Melba Koh, dachte sie. Ich war noch nie jemand anders.
    Der Aufzug hielt auf ihrer Etage an, die drei Soldaten machten ihr Platz. Sie fragte sich, ob auch Marcos sterben würde, wenn es so weit war.
    Das Gefängnis ihres Vaters hatte sie niemals mit eigenen Augen gesehen, und selbst wenn, dann hätte die Begegnung in einem streng überwachten Raum stattgefunden. Das ganze Gespräch wäre aufgezeichnet worden. Unter dem Druck der behördlichen Überwachung wären alle menschlichen Gefühle unter den Tisch gefallen. Die Flure, durch die er lief, und die Zelle, in der er schlief, hätte sie sowieso nicht sehen dürfen. Nach seiner Inhaftierung durch die Vereinten Nationen hatte sie sich allerdings über den inneren Aufbau von Gefängnissen informiert. Ihre Kabine war drei Zentimeter schmaler und anderthalb Zentimeter länger als eine Zelle. Die Druckliege, auf der sie schlief, war kardanisch aufgehängt, um Schubwechsel abzufangen, während seine fest im Boden verschraubt war. Sie konnte hinaustreten, wann immer sie wollte, und die Mannschaftsdusche oder die Messe aufsuchen. Ihre Tür war von innen abschließbar, und es gab in der Kabine weder Überwachungskameras noch Mikrofone.
    In jeder Hinsicht genoss sie mehr Freiheit als ihr Vater. Wenn sie viel Zeit allein verbrachte, so beruhte dies auf einer bewussten Entscheidung, und nur darauf kam es an. Morgen sollte ein neuer Dienstplan herauskommen. Ein anderes Schiff, eine weitere Serie von Wartungsarbeiten, die zu beaufsichtigen sie vorgeben konnte. Heute Abend konnte sie sich auf die Koje legen und die einfache Baumwollunterwäsche tragen, die ihrer Ansicht nach zu einer Frau wie Melba passte. Im Handterminal waren fünfzehn Anleitungen gespeichert, im öffentlichen Speicher des Schiffs gab es noch Dutzende weitere. Dort war von der Nahrungsmittelgewinnung durch Mikroorganismen über Einzelheiten des Kühlsystems bis zu Managementverfahren alles festgehalten. Eigentlich sollte sie die Anleitungen gründlich lesen. Oder wenn schon nicht dies, dann sollte sie wenigstens darauf verzichten, ständig die eigenen geheimen Dokumente durchzusehen.
    Auf dem Bildschirm wirkte Jim Holden wie ein Fanatiker. Das Bild war aus Dutzenden Sendestunden über den Mann im Laufe der letzten Jahre zusammengesetzt, wobei die jüngsten Filme und Standbilder die höchste Priorität genossen hatten. Die Software, die sie benutzt hatte, um eine perfekte Simulation des Mannes zu erschaffen, hatte mehr gekostet, als Melba überhaupt besaß. Der falsche Holden musste überzeugend genug sein, um Menschen wie Computer wenigstens eine kleine Weile in die Irre zu führen. Auf dem Bildschirm blinzelten die braunen Augen mit der Ernsthaftigkeit eines Idioten. Am Kiefer zeichneten sich die ersten Anzeichen von Hängebacken ab, die nur dank der Mikrogravitation halbwegs verborgen blieben. Das kriecherische kleine Lächeln verriet ihr alles, was sie über den Mann wissen musste, der ihre Familie zerstört hatte.
    »Hier ist Kapitän James Holden«, sagte er. »Was Sie gerade gesehen haben, ist eine Demonstration der Gefahr, in der Sie schweben. Meine Helfer haben ähnliche Vorrichtungen auf allen Schiffen platziert, die sich gegenwärtig in der Nähe des Rings befinden. Sie werden sich zurückhalten, wenn ich im Namen der Allianz der Äußeren Planeten die ausschließliche und absolute Kontrolle über den Ring beanspruche. Jedes Schiff, das sich ohne meine persönliche Erlaubnis dem Ring nähert, wird ohne Vorwarnung zerstört …«
    Sie stoppte die Aufzeichnung und ließ ihren kleinen künstlichen Holden mitten in der Bewegung

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