Abaddons Tor: Roman (German Edition)
in sich. Sie selbst war dieser Irrtum oder Fehler. Sie wusste überhaupt nicht, was sie tat, würde aber damit durchkommen, sich durchmogeln. Wenn sie fort war, würde alles zerfallen. Ihr wurde die Kehle eng. Beinahe wünschte sie, sie hätte nichts gesagt.
Sie war ein falsch herum eingesetzter Unterspannungsschutz. Ein Fehler, den man leicht übersehen konnte, der jedoch das Potenzial besaß, alles zu zerstören.
»Was die anderen angeht … seien Sie nicht zu hart mit ihnen. Die lassen vor allem Dampf ab. Dabei geht es nicht um Sie, sondern eigentlich um alles. So halten sie die Angst im Zaum.«
»Angst?«
»Klar«, erwiderte er. »Alle auf diesem Schiff haben schreckliche Angst. Niemand will es zeigen, alle erledigen ihre Arbeit, aber alle haben Albträume. Ist doch verständlich, oder?«
»Wovor haben sie denn Angst?«, fragte sie.
Hinter ihr fuhr das Schott auf und schloss sich wieder. Ein Mann sagte etwas in einer Sprache, die sie nicht kannte. Ren legte den Kopf schief. Sie bekam ein schreckliches flaues Gefühl in der Magengrube und war überzeugt, einen Fehler begangen zu haben. Sie hatte sich nicht normal verhalten und wusste nicht einmal, wo sie versagt hatte.
»Der Ring«, erklärte er endlich. »Das Ding, das Eros umgebracht hat. Es hätte auch den Mars töten können. Und die verrückten Sachen, die es auf der Venus gemacht hat. Niemand weiß, was da passiert ist. Es hat den Slingshot-Spieler getötet, der durchfliegen wollte. Die Hälfte der Leute glaubt, wir sollten Atombomben einsetzen, die andere Hälfte meint, damit würden wir es nur verärgern. Wir fliegen so weit in den Raum hinaus wie kaum jemand zuvor, und schauen dem Teufel ins Auge, und Stanni, Solé und Bob haben schreckliche Angst vor dem, was wir dort zu sehen bekommen. Ich selbst übrigens auch.«
»Ah«, machte sie. »Alles klar, das verstehe ich.«
Ren lächelte ein wenig gezwungen.
»Und Sie? Macht es Ihnen keine Angst?«
»Ich denke möglichst nicht darüber nach.«
8 Anna
Eine Woche nach Namis und Nonos Abreise zur Erde stieg Anna in das Shuttle. Als sie die letzten Tage allein in den Räumen lebte und sich vorstellte, dass sie und ihre Lieben nie mehr hierher zurückkehren würden, empfand sie eine leise Vorahnung des Todes – eine tiefe Melancholie und, sie schämte sich dafür, einen kleinen Kitzel.
Da sich das Shuttle von Europa als eine der letzten Einheiten der Flottille anschloss, hatte es achtzehn Stunden lang stark beschleunigt. Sobald Anna den Fuß auf das Deck der UNN Thomas Prince setzte, wollte sie sich nur noch auf die Koje fallen lassen und zwölf Stunden schlafen. Der junge Kadett, der sie empfing und begleitete, hatte jedoch andere Pläne, und die Anstrengung, ihn schroff abzuweisen, überstieg ihre Kräfte.
»Die Prince ist ein Schlachtschiff der Xerxes-Klasse. Wir bezeichnen sie manchmal als Superschlachtschiff der dritten Generation.« Er deutete auf die Innenwände des Hangars, die mit weißen Keramikplatten und einer darunterliegenden Gelschicht verkleidet waren. Das Shuttle, mit dem sie gekommen war, wirkte in dem riesigen Hangar, der die Ausmaße einer Kathedrale hatte, winzig klein. »Wir nennen es ein Schlachtschiff der dritten Generation, weil es zur dritten Neubauserie seit dem ersten Konflikt zwischen Erde und Mars gehört.«
Nicht, dass dieser Konflikt sehr heftig gewesen wäre, überlegte Anna. Die Marsianer hatten etwas über Unabhängigkeit gemurmelt, die UN hatten massenhaft Schiffe gebaut, der Mars einige wenige. Dann hatte Solomon Epstein sich von einem marsianischen Hobbyflieger und Jachtbesitzer in den Erfinder des ersten Fusionsantriebs verwandelt und das Problem des Hitzestaus und des raschen Brennstoffverbrauchs bei ständigem Schub gelöst. Auf einmal hatte der Mars einige Schiffe, die sehr, sehr schnell fliegen konnten, und sagte: He, wir kolonisieren jetzt den Rest des Sonnensystems. Wollt ihr weiter wütend auf uns sein, oder macht ihr lieber mit? Die UN hatten vernünftig entschieden, und die meisten Menschen stimmten zu: Es war ein guter Tausch, den Mars aufzugeben und dafür das halbe Sonnensystem zu bekommen.
Das bedeutete natürlich nicht, dass die beiden Seiten aufgehört hatten, neue Wege zu erfinden, mit denen sie einander umbringen konnten. Man konnte ja nie wissen.
»… etwas mehr als einen halben Kilometer lang und bis zu zweihundert Meter breit«, erklärte der Kadett.
»Beeindruckend.« Anna hatte Mühe, ihre abschweifenden Gedanken
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