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Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Titel: Abaddons Tor: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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hereinkam und sie entdeckte. Bevor der Absturz kam.
    Glücklicherweise war nur sehr wenig Blut geflossen.

12    Anna
    Nach zwei Stunden interkonfessioneller Andacht wurde Anna zum ersten Mal im Leben beim Beten müde. Bisher hatte ihr die Versenkung immer großen Trost gespendet, und sie hatte eine tiefe Verbundenheit mit etwas empfunden, das viel größer war als sie selbst. Ihre atheistischen Freunde bezeichneten dies als Ehrfurcht vor dem unendlichen Kosmos. Sie nannte es Gott. Es kümmerte sie nicht, dass sie letzten Endes wohl ein und dasselbe meinten. Möglicherweise schickte sie ihre Gebete an ein kaltes, gefühlloses Universum, das ihr nicht zuhörte. So fühlte es sich für sie allerdings nicht an. Die Wissenschaft hatte der Menschheit vieles geschenkt, was sie zu schätzen wusste. Das Wichtigste, was sie der Menschheit genommen hatte, war die Wertschätzung subjektiver persönlicher Erfahrungen. Diese Ebene war der Ansicht gewichen, nur das Messbare und Prüfbare habe einen Wert. So funktionierten die Menschen aber nicht. Anna nahm an, dass dies auch für das ganze Universum galt. Geschaffen als Gottes Ebenbild – ein wichtiger Leitsatz ihres Glaubens.
    Zuerst war das Treffen angenehm verlaufen. Vater Michel besaß eine wohltönende tiefe Stimme, die im Alter gereift war wie ein guter Wein. Sein langes, von Herzen kommendes Gebet mit der Bitte um die Führung Gottes für diejenigen, die nun den Ring untersuchen wollten, hatte ihr einen Schauer über den Rücken gejagt. Auf ihn folgte ein Ältester der Kirche der Aufgestiegenen, der die Gruppe durch mehrere Meditationen und Atemübungen führte, nach denen Anna sich energiegeladen und erfrischt fühlte. Auf dem Handterminal machte sie sich eine Notiz, eine Kopie des Meditationsbuchs herunterzuladen und es zu lesen. Natürlich kamen nicht alle Glaubensrichtungen und Überlieferungen an die Reihe. Der Imam wollte nicht vor Andersgläubigen beten, hielt aber eine kurze arabische Ansprache, die jemand übersetzte, sodass sie über einen Ohrhörer alles verfolgen konnte. Als er mit Allahu akbar endete, wiederholten mehrere Zuhörer den Spruch. Anna gehörte zu ihnen. Warum auch nicht? Es war höflich, und es war eine Formel, die sie unterschreiben konnte.
    Nach zwei Stunden fand sie jedoch auch die herzlichsten und poetischsten Gebete ermüdend. Sie zählte die kleinen Düsen der Sprinkleranlage. Seit der Begegnung mit dem Selbstmordattentäter beim ersten Treffen war sie sehr gut darin, die Erhebungen ausfindig zu machen. Ihre Gedanken schweiften ab, sie dachte an die Nachricht, die sie Nono später schicken würde. Der Stuhl, auf dem sie saß, vibrierte leicht. Wenn sie ganz still saß, glaubte sie beinahe, die Schwingungen hören zu können. Vielleicht lag es am mächtigen Antrieb des Schiffs. Nachdem Anna eine Weile gelauscht hatte, entdeckte sie sogar ein gleichmäßiges Pulsieren. Das Pulsieren verwandelte sich in Musik, und dann summte sie leise vor sich hin. Der Episkopale, der neben ihr saß, räusperte sich vernehmlich, und sie hörte wieder auf.
    Hank Cortez sollte den Abschluss bilden. In den Wochen und Monaten, die Anna nun schon auf der Prince reiste, hatte sich herausgestellt, dass es keine förmliche Leitung dieser interkonfessionellen Expedition gab, doch er galt als eine Art Primus inter Pares. Anna führte dies auf seinen vertrauten Umgang mit dem Generalsekretär zurück, der diese Mission überhaupt erst ermöglicht hatte. Außerdem schien er viele wichtige Künstler, Politiker und Wirtschaftsberater, aus denen sich die zivile Gruppe rekrutierte, persönlich gut zu kennen.
    Im Grunde störte sie es nicht. Ganz egal, wie gleichberechtigt die Mitglieder einer Gruppe am Anfang waren, früher oder später schälte sich immer jemand heraus, der eine Führungsrolle übernahm, und das sollte lieber Doktor Hank als sie selbst sein.
    Als die Neo-Wicca-Priesterin, die im Moment am Rednerpult stand, endlich ihre Rituale zum Abschluss brachte, war Doktor Hank nirgends zu sehen. Anna schöpfte Hoffnung, dass die Gebetsstunde nun bald beendet sei.
    Aber nein. Doktor Hank kam in Begleitung einer Filmcrew in den Vortragssaal und stürmte zum Pult wie ein Schauspieler, der die Bühne betrat. Er zeigte dem Publikum die strahlenden Zähne und achtete darauf, als Letztes in die Kamera zu blicken.
    »Brüder und Schwestern«, begann er. »Wir wollen das Haupt senken, dem Allmächtigen danken und ihn um Rat und Anleitung bitten, während wir uns dem Ziel

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