Abaddons Tor: Roman (German Edition)
dieser historischen Reise nähern.«
So machte er noch gut zwanzig Minuten weiter.
Anna summte schon wieder.
Danach traf Anna sich mit Tilly in der Offiziersmesse, die den Zivilisten zur Verfügung gestellt worden war. Anna war nicht sicher, warum sie auf dieser Reise als Tillys beste und einzige Freundin herhalten musste, doch die Frau hatte sich nach der ersten Begegnung an sie geheftet und ließ sie nicht mehr los wie eine Zecke. Nein, das war eigentlich nicht fair. Das Einzige, was sie und Tilly verband, war zwar der auf Kohlenstoff basierende Stoffwechsel, doch andererseits hatte auch Anna so gut wie keine Freunde auf dem Schiff. Tilly war mitunter gedankenlos und nervtötend, doch Anna lernte rasch, die Maske zu durchschauen und die sehr einsame Frau dahinter zu entdecken. Die unanständig hohen Zuwendungen ihres Gatten für den Wahlkampf des Generalsekretärs hatten ihr einen Platz als zivile Beraterin auf dem Schiff erkauft. Für sie hatte der Flug keinen anderen Sinn, als sich sehen zu lassen und die Reisegefährten an den gewaltigen Reichtum und die Macht ihres Gatten zu erinnern. Die Tatsache, dass sie der Gruppe sonst nichts zu bieten hatte, ließ die wahren Hintergründe umso deutlicher zutage treten. Sie wusste es, und alle anderen wussten es ebenfalls. Die meisten anderen Zivilisten auf dem Schiff behandelten sie mit kaum verhohlener Verachtung.
Während sie auf das Essen warteten, schob Tilly sich eine Pastille in den Mund und kaute darauf herum. Ein schwacher Geruch nach Nikotin und Minze breitete sich aus. Auf einem Militärschiff herrschte striktes Rauchverbot.
»Wie ist es bei Ihnen gelaufen?«, fragte Tilly, während sie mit der silbernen Pillenschachtel spielte und den Blick durch den Speisesaal schweifen ließ. Sie trug einen Hosenanzug, der wahrscheinlich mehr gekostet hatte als Annas Haus auf Europa. So etwas trug sie, wenn sie sich lässig kleiden wollte.
»Der Gebetstreff?«, antwortete Anna. »Recht gut. Andererseits auch nicht so gut. Es war lang, viel zu lang.«
Offenbar erstaunt über die aufrichtige Antwort, sah Tilly sie an. »Gott, als ob ich das nicht wüsste. Niemand kann so schwafeln wie ein Priester, dessen Publikum sich nicht verdrücken kann. Na ja, vielleicht mit Ausnahme der Politiker.«
Ihr Essen kam, ein Kadett half als Kellner für die VIP-Zivilisten aus. Anna fragte sich, was der junge Mann davon hielt. Bei den UN-Streitkräften dienten nur Freiwillige. Wahrscheinlich war in seiner Vision, wie seine Karriere beim Militär verlaufen sollte, so etwas nicht vorgekommen. Behutsam und offensichtlich sehr geübt stellte er das Essen vor ihnen ab und lächelte. Dann verschwand er wieder in der Küche.
Kombüse. So nannten sie die Küche auf einem Raumschiff.
Tilly pickte unentschlossen an einer echten Tomate mit echtem Mozzarella herum. Diesen Salat hätte Anna sich auf Europa leisten können, wenn sie eine Niere verkauft hätte. »Haben Sie schon etwas von Namono gehört?«
Anna nickte und schluckte ein Stück gebratenen Tofu herunter. »Gestern Abend habe ich ein Video bekommen. Nami wächst so schnell, dass man zusehen kann. Sie gewöhnt sich an die Schwerkraft, aber die Medikamente machen sie reizbar. Wir denken daran, die Mittel früher abzusetzen, auch wenn dadurch die körperliche Therapie anstrengender wird.«
»Ach«, seufzte Tilly. Es klang wie eine leere Floskel. Anna wartete darauf, dass die Frau das Thema wechselte.
»Robert hat sich seit einer Woche nicht mehr gemeldet«, verkündete Tilly. Sie schien eher resigniert als traurig.
»Glauben Sie denn, er …«
»Ob er mich betrügt?« Tilly lachte. »Das hoffe ich. Das wäre wenigstens mal etwas Interessantes. Was glauben Sie, was er sich ansieht, wenn er sich um zwei Uhr morgens in seinem Büro einschließt? Geschäftsberichte, Aktienkurse, Statistiken. Robert ist das am wenigsten sexuelle Wesen, das ich kenne. Das könnte sich höchstens ändern, wenn jemand einen Weg erfindet, Geld zu vögeln.«
Tillys beiläufige Obszönitäten störten Anna schon lange nicht mehr. In ihnen steckte nichts Bösartiges. Wie bei den meisten Dingen, die Tilly tat, ging es auch in diesem Fall vor allem darum, Aufmerksamkeit zu erheischen. Die Menschen sollten sie wahrnehmen. »Wie läuft denn der Wahlkampf?«, fragte Anna.
»Für Esteban? Wer weiß? Roberts Aufgabe besteht darin, reich zu sein und reiche Freunde zu haben. Ich bin sicher, dass es auf dieser Ebene hervorragend läuft.«
Sie aßen eine Weile schweigend,
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