Abaton
und schloss die Zellentür.
„Haben Sie dich auch ... nein, Quatsch. Du bist ja erst 13.“
„14!“
Sein Vater klaubte die Papiere zusammen und schaute dabei auf den Boden.
„Ich hab mich selbst hier reingeschmuggelt“, sagte Simon stolz und wartete auf eine Reaktion seines Vaters. Eine Anerkennung oder wenigstens eine Frage. Sein Vater richtete sich wieder auf und starrte seinen Sohn ungläubig an. Im Licht sah er viel älter aus, als Simon ihn in Erinnerung hatte. Er war bleich und hatte einen Vorderzahn verloren, doch sein volles dunkles Haar und seine leuchtenden Augen erinnerten Simon noch immer an den Mann, der ihn früher durch die Luft gewirbelt und ohne Mühe aufgefangen hatte.
Simon setzte sich auf das untere Bett in der Zelle. Das Wiedersehen
hatte er sich wahrlich anders vorgestellt. „Ich hab dich gesucht“, sagte er. Er spürte, wie sein Mut sank.
„Wie bist du hier reingekommen?“, fragte sein Vater. Seine Stimme klang misstrauisch.
Mit knappen Worten berichtete Simon, wie er es in den Knast geschafft hatte, und spürte, wie sich etwas in ihm zusammenzog. Er hatte gehofft, dass sich sein Vater freuen würde, ihn zu sehen. Nun kam er sich vor wie ein Kind, das eine törichte Dummheit begangen hatte. Und er spürte, dass der Vater innerlich auf Distanz ging. Als wünschte er, Simon wäre geblieben, wo der Pfeffer wächst.
„Warum? Warum hast du nach mir gesucht? Was willst du?“
Simon wusste nicht, ob er reden sollte. Das Verhalten des Vaters hatte ihm den Wind aus den Segeln genommen. Doch dann nahm er allen Mut zusammen und erzählte. Von den Schuldgefühlen, die ihn seit Davids Tod gequält hatten, und dass diese Gefühle vor wenigen Tagen zum ersten Mal verschwunden seien, nachdem er durch die Sonnenradsequenz auf Linus’ I-Phone offenbar in Hypnose versetzt worden sei.
„Irgendwie hatte ich keine andere Wahl, als herzukommen“, sagte er schließlich hilflos.
Simons Vater hob die Hand, um sich die dunklen Haare aus der Stirn zu streichen, und starrte abwesend auf das vergitterte Fenster.
„Du hättest David nicht helfen können, ohne dich selbst in Gefahr zu bringen. Niemand hat dir die Schuld gegeben. Es war Winter. Eiskalt. Wie hättest du ihn aus dem See retten können?“ Er redete wie der Polizist damals. Genauso unbeteiligt. Dann sah er Simon an und der Junge erkannte in dem Blick, dass sein Vater ohne wirkliche Überzeugung sprach. Der nüchterne Ton war ein Schutz, um nicht weiter über Davids Tod nachdenken zu müssen.
„Manchmal geschehen eben Dinge, deren Bedeutung wir lange Zeit nicht verstehen können ...“
„Was soll Davids Tod denn für eine Bedeutung haben? Vielleicht hätte ich ihn ja doch noch retten können! Wenn ich ein bisschen mehr Kraft gehabt hätte, würde David womöglich noch leben!“
„Oder du wärst jetzt auch tot ...“
Das wäre dir doch egal, dachte Simon wütend. Er hasste seinen Vater für den Kokon aus Vernunft und Nüchternheit, in den er sich eingesponnen hatte. Am liebsten hätte Simon ihm eine gescheuert. Stattdessen kämpfte er mit den Tränen und hasste sich selbst. Simon wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht und straffte die Schultern. Atmete tief durch. Zum ersten Mal blickte er sich in dem in kärglichem Grün gestrichenen Raum um und hörte den lauten Krach, der aus den Tiefen des Gebäudes in die Zelle drang. Er sah die verkratzten Wände, die abgestoßenen Möbel und die Papierstöße und Farbstifte auf dem kleinen Tisch.
„Wieso bist du im Knast?“
Der Vater sah aus dem Fenster, dann wieder auf seine Papiere. Als wolle er sich lieber wieder ihnen zuwenden und nicht mit Simon sprechen. „Ich warte auf meine Revision.“
Simon starrte seinen Vater an. Vielleicht hatte man ihn gebrochen, dachte Simon. Vielleicht hatte man ihm etwas angetan im Bunker. Ihm diese Betonspritzen gegeben, von denen Bobo gesprochen hatte.
„Dann bist du unschuldig?“
Der Vater nickte.
„Wir leben in Deutschland und nicht in Amerika oder Russland, wo Unschuldige ein Leben lang hinter Gitter gesperrt werden, nur weil irgendjemand es so beschlossen hat!“ Simon war selbst erstaunt, wie klar und zusammenhängend er reden konnte.
Sein Vater zuckte die Achseln. „In Deutschland gibt es eben andere Mittel und Wege, Menschen aus dem Weg zu schaffen.“
„Aber wer will das? Und warum? Hängt es mit deiner Forschung zusammen? Was ist das – Freie Energie?“, fragte Simon und deutete auf ein Papier, das aussah wie ein Titelblatt
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