Abaton
umgebracht!“
Thorben merkte, dass er auf verlorenem Posten stand und dabei war, Eddas Respekt einzubüßen. Und Edda war erstaunt, dass Simon so vehement ihre Meinung vertrat. Der Professor betrachtete die Jugendlichen interessiert und machte sich Notizen. Plötzlich schaute er auf.
„Wo ist Linus?“, fragte er.
„Klo wahrscheinlich“, sagte Thorben. „Sextanerblase!“ Er lachte, sah sich um, aber niemand fand seinen Witz komisch. Edda schon gar nicht, die machte eine finstere Miene. Und Simon wunderte sich, wie sich Schifter so schnell die Namen hatte einprägen können.
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Es war enttäuschend. Linus hockte auf der Toilette, zu der die schmale Tür geführt hatte. Während er sein Handy an einer Steckdose auflud, sah er sich die gemopsten Dateien an. Na prima. Nun hatte er die Namen, Adressen und Hobbys aller Camp-Teilnehmer. Dazu ihre Allergien und Vorlieben beim Essen. Koscher, vegetarisch, vegan ... Dass Thorben Diät halten sollte, davon war nicht die Rede.
Linus konnte keine weiteren Informationen finden. Außer der, dass ein Michael, ein Ruben, ein Marlon und noch ein paar andere am 13. Juli auf diesem Klo gewesen waren, wie sie mit schwarzem Edding an der Kabinenwand protokolliert hatten. Des Weiteren stand da eine Telefonnummer, die man anrufen sollte, wenn man was Besonderes erleben wollte. Diverse »Fuck You« mit Mittelfingern grüßten von der Kabinentür. Eine hingekrakelte Frau spreizte die Beine; »come in and find out« bot eine »Paarfummlerie Douglas« an, dahinter eine Handynummer. Darunter der Rat, kaputt zu machen, was einen kaputt macht, und die Hoffnung, dass alles nicht so schlimm wird, wie es jetzt schon ist.
Linus spielte einen Moment mit dem Gedanken, die Handynummer anzurufen. Als Gag. Er hatte keine Lust, zu dem blöden Kokosfilm zurückzukehren.
Aber er beschloss, sich das Geld zu sparen. Er verließ die Toilette durch eine andere Tür als die, durch die er hereingekommen war, und fand sich in einem Raum mit afrikanischen Masken und Voodoo-Exponaten wieder. Nur wenige Besucher waren anwesend. Der Mann mit den kurzen grauen Haaren und der getönten Brille, der ihn aus den Augenwinkeln beobachtete, fiel Linus nicht auf. Er kannte Clint zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Außerdem waren ihm die anderen Besucher im Augenblick herzlich egal. Achtlos schlenderte er an den Vitrinen vorüber. Wartete darauf, dass die Zeit verging. Aber er musste sich noch gedulden. Bis zur morgigen Nacht. Da wollte er sich endlich Gewissheit verschaffen, im Tunnelsystem der Berliner U-Bahnen.
Erst nach einer Weile registrierte er, wovor er stand. Einem Ständer mit Werbeprospekten. Für Konzerte, Kunst, eine Go-Kart-Bahn und das Archäologische Institut. Linus wunderte sich, warum gerade dieser Prospekt seinen Blick auf sich zog. Er nahm ihn in die Hand und schaute sich die Fotos der Fossiliensammlung an. Erst da fiel es ihm auf. Eines der Fossilien war eine Versteinerung der Pflanze, mit der seine Eltern experimentiert hatten. Oder nicht? Doch. Er las den Titel der Ausstellung. „Versunkene Flora und Fauna“. Es ging um Stein gewordene Zeugen einer vergangenen Zeit. Ausgestorben seit Jahrmillionen. Linus lachte auf. So ein Quatsch! Genau diese Pflanzen hatte er bei seinen Eltern im Gewächshaus gesehen. Obwohl ... wenn es stimmte, dass seine Eltern genau diese als ausgestorben geltenden Pflanzen in ihrem Gewächshaus hatten ...
Er ermahnte sich, nicht schon wieder in eine seiner Verschwörungstheorien zu verfallen. Das Foto in dem Prospekt zeigte eine versteinerte Pflanze. Vielleicht würde ihn selbst ein versteinertes Gänseblümchen an die Forschungsobjekte seiner Eltern erinnern. Nein, das hier hatte nichts mit dem Verschwinden seiner Eltern zu tun, sagte er sich. Er musste bei seinem ursprünglichen Plan bleiben.
Durch die offene Tür zum Gang bemerkte er, wie seine Gruppe aus dem Vorführraum strömte, um den Teilnehmern der zweiten Gruppe Platz zu machen. Linus wollte gerade den Prospekt in den Ständer zurückstecken, als ihn jemand am Ärmel berührte. Linus erschrak.
„Linus, da bist du also!“ Professor Schifter stand so unvermittelt neben ihm, als wäre eines der Exponate lebendig geworden. Er lächelte freundlich.
„Interessiert dich das?“, fragte er und deutete auf den Prospekt des Archäologischen Instituts in Linus’ Hand.
Linus nickte.
„Wir müssen los“, sagte der Professor. „Aber morgen im Camp finden Workshops dazu statt, dann können wir darüber
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