Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
plötzlich auf. Uganda. Idi Amin. Olsen sah Bilder von Kämpfen. Trommeln. Gewehrsalven. Schwarze Gesichter. Feuer. Menschen, die sterben. Dann hatte Olsen auf einmal das Gesicht des Diktators vor sich. Aus seiner Hand nahm er einen Orden in Empfang.
Olsen schaltete den winzigen Fernseher an, um sich abzulenken. Das Schmerzmittel hatte nachgelassen. Olsen legte nach. Er musste weiter an der Suche arbeiten, auch wenn Schmerz und Müdigkeit ihn forderten. Olsen rührte sich das Kaffeepulver, das auf einem Bord neben Tee und ein paar Keksen gratis angeboten wurde, in einen Schluck heißes Wasser. Es entstand eine Kaffeepaste, die Olsen mit viel Zucker löffelte. Auch das fühlte sich richtig und bewährt an. Schnell spürte er die aufputschende Wirkung. Noch einmal nahm er sich die Ergebnisse seiner Suche vor. In einem Immobilienforum checkte er die Angebote aus dieser Gegend und fand die Verwalter der Hausanlagen. Er telefonierte alle durch. Nur einer von ihnen ließ sich darauf ein, gegen bar im Voraus auf ein halbes Jahr zu vermieten, und auch er fragte misstrauisch, warum Olsen das so regeln wollte.
„Bin viel unterwegs. Ich hab den Tipp von einem Kollegen.“
„Ja“, sagte der Verwalter. „Ja, verstehe.“
Olsen vereinbarte mit dem Verwalter pro forma einen Besichtigungstermin in der nächsten Woche. Dann setzte er seine Mütze auf, stieg vor der Pension in ein Taxi und fuhr sofort in die Guineastraße.
Keine Viertelstunde später bog das Taxi in die Guineastraße ein. Olsen ließ den indischen Fahrer anhalten und warten. Er lief zum Klingelbrett und las die Namen. Er begann in den oberen Stockwerken. Es waren Namen, die nach Osteuropa klangen und keiner löste irgendeine Erinnerung bei Olsen aus. Olsen eilte weiter zum zweiten Gebäude. Sedlacek, Linke, Neumann, Radencovic. Moment. Neumann. Olsen begriff, dass dieser Allerweltsname irgendwo in seiner Erinnerung verankert war. Er versuchte, sich zu konzentrieren. Der Taxifahrer beobachtete ihn misstrauisch. Er hupte. Aber Olsen konnte all die Geräusche, die Kälte im nasskalten Berlin unter dem zugigen Vordach der Wohnanlage ausblenden. Plötzlich aber drehte er sich um. Sein Blick suchte ein Ziel. Und fand die Ausfahrt der Tiefgarage. Ein dunkler Van verließ die Garage und bog auf die Straße ein. Für den Bruchteil einer Sekunde erkannte Olsen den Jungen. Da saß Linus.
„Folgen Sie dem Van!“, sagte Olsen, als er zurück zum Taxi kam. Der Fahrer gab Gas. „Nicht zu nah auffahren“, warnte Olsen. Mit großen Augen blickte der Fahrer ihn an.
„Ist ja wie in James Bond.“
„Ja, so ungefähr.“ Olsen nahm noch mal eine seiner Schmerztabletten. Dann fixierte sein Blick den Van. Er hatte ihn ins Visier genommen und wusste, dass es nun kein Entkommen mehr gab. Nicht für den Van, nicht für ihn selbst. Für einen Moment huschte wieder ein Lächeln über sein Gesicht. Wie schön.
Clint bog mit dem Van vom Stadtring auf den Kaiserdamm ab. Er folgte der Beschreibung, die Linus ihm gab. Linus saß auf dem Beifahrersitz und wirkte wie paralysiert. In Wirklichkeit bemühte er sich um höchste Konzentration.
„Jetzt links“, sagte er und Clint bog in die Krumme Straße ein. Clint war kurz abgelenkt, weil er im Rückspiegel das Taxi beobachtete, das schon seit einer Weile in die gleiche Richtung hinter ihm herfuhr. In die Krumme Straße aber war es nicht mehr mit abgebogen.
„Da!“ Linus deutete auf ein Gebäude. „Im Schwimmbad. Da sind Edda und Simon.“
Olsen hatte den Taxifahrer einige Meter hinter der Abbiegung zur Krummen Straße anhalten und wenden lassen. Jetzt lugte er dem Van hinterher und sah, dass er auf den Parkplatz des Charlottenburger Bades einbog.
„Sie brauchen Hilfe?“, fragte der Inder hoffnungsfroh. „Mein Bruder ist bei Polizei in Mumbay“, erklärte er, als wäre das eine Qualifikation. „Hab auch gesehen alle James Bond“, fügte er hinzu.
„Danke, nein“, sagte Olsen. „Ist nur eine Ehegeschichte.“ Er bezahlte den enttäuschten Fahrer und ging dann auf das alte Schwimmbad zu.
„Ich kann die beiden rausholen“, sagte Linus. Clint lächelte nur. Er schob Linus in das Schwimmbadgebäude. Hinter der Tür blieb er stehen und zeigte Linus, dass er die Spritze parat hatte.
„Ein Erwachsener, ein Kind“, sagte Clint an der Kasse.
„Wie alt ist Ihr Sohn?“, fragte die Frau.
„Fünf“, sagte Linus nach einem winzigen Moment Schweigen, der der Frau an der Kasse hätte auffallen können, wenn sie geahnt
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