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Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)

Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)

Titel: Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kraemer
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nur um dem Jungen einen Gefallen zu tun und um dazuzugehören. Wenn man über so was lachte, dann lachte sie eben mit. Nach und nach spürte Edda, wie sie immer müder wurde. Wie ihr das Lachen, das Posen immer schwerer fiel. Schließlich bat sie Lucy um den Schlüssel. Edda wollte zurück. Sie erklärte es mit schrecklichem Kopfweh. Lucy und die Jungs wollten das nicht zulassen. Die Nacht war doch noch viel zu jung. Die Clubs warteten doch auf sie. Aber Edda ertrug nicht mehr, was sie redeten, was sie tranken. Sie ertrug die Edda nicht mehr, die sie in den letzten zwei Stunden gewesen war.
    Als Edda wieder allein auf der Straße stand und zurück in die Bar schaute, sah sie Lucy, die den Service übernommen hatte und ein paar Jungs direkt aus der Flasche in den Mund abfüllte. Edda begriff, wie anstrengend Lucys Gesellschaft war. Und immer sein würde.
    Sie schlenderte durch die Kälte zurück zum Apartment. Die Ruhe und das Alleinsein taten ihr gut. Ab und an schaute sie in die Schaufenster. Die erwachsene Edda lief neben ihr her. Edda hatte das Gefühl, dass es gerne noch eine ganz Zeit dauern konnte, bis sie zu dieser Frau wurde. Sie zog die Haarnadeln aus ihrer Hochsteckfrisur und war zufrieden. Schon wieder ein wenig mehr die Edda, die sie in den letzten Monaten kennengelernt hatte. Sie ging davon.
    Den hageren Mann im weiten dunklen Mantel, der ihr von der Bar bis hierhin gefolgt war, und den sie vielleicht hätte wiedererkennen können, hatte sie nicht wahrgenommen. Er beobachtete, wie Edda im Apartmenthaus verschwand. Dann telefonierte er. Und meldete, dass Edda alleine nach Hause gegangen war.
    „Ich weiß nicht, ob sie Linus und Simon wiederfinden wird. Ich weiß nicht, ob sie das wirklich will“, zweifelte er.
    „Dass sie zurück im Apartment ist, ist ein gutes Zeichen“, antwortete die ruhige Stimme am anderen Ende der Leitung. „Sobald sie wieder zusammen sind, nehme ich Kontakt auf.“
    Im Apartment legte sich Edda auf das Bett, in dem sie vor anderthalb Tagen erwacht war, und überlegte, wie es weitergehen sollte. Abgesehen von Thorboy hatte sie keine Anlaufstelle in Berlin. Sie hatte keine Ahnung, wo sich Linus und Simon befanden. Sollte sie zurück nach Cuxhaven? Oder sollte sie versuchen, mit Greta zu reden? Vielleicht war es nicht der schlechteste Gedanke, mit GENE-SYS wenigstens zu kooperieren. Vielleicht auch nur zum Schein, damit sie sich um Marie kümmern konnte. Irgendetwas musste sie unternehmen. Mit Lucy konnte sie nicht weiterziehen. Edda spürte, dass Lucys Leben auf eine Katastrophe zusteuerte, und sie selbst nichts würde tun können, diese Katastrophe aufzuhalten. Es schien, als müsse Lucy diese Erfahrung machen. Lucy durchschaute die Menschen. Aber die Schlüsse, die sie daraus zog, kamen aus einer tiefen inneren Verletzung. Lucy suchte die Nähe von Musikern, Filmstars und Berühmtheiten, um diesen inneren Schmerz nicht zu spüren. Als könnte deren Ruhm sie heilen oder ihr eine Bedeutung verleihen, die sie nicht hatte. Gar nicht haben konnte. Wie Edda früher machte Lucy sich überhaupt keine Gedanken über die Macht der Struktur, in der sie sich befand. Darüber, wie sie durch Medien und Bilder der Medien beeinflusst wurde, und wie sich alles eigentlich nur immer darum drehte, dass sie geliebt werden wollte und genügend Aufmerksamkeit erhielt.
    Edda wunderte sich. Woher kamen diese Gedanken? Schon im Heim hatte sie Worte für Gedanken gefunden, die ihr neu und fremd waren. Die sie in Indien gehört hatte und die durch das Schicksal ihrer Mutter Teil ihres Lebens geworden waren. Ein Teil, den sie verachtet und verdrängt hatte und dessen Wert ihr erst jetzt, durch das Dasein Lucys, deutlich wurde. Edda war sich sicher, dass es richtig war, was sie dachte. Dass die Gedanken ihre eigenen waren und nicht einfach nur Nachgedachtes. In den letzten Monaten hatte sie sich verändert. Vielleicht war es richtig, was Greta behauptet hatte: dass die Epigenetik Potenziale in ihrem Wesen aktivierte, die sie sonst nie zur Verfügung gehabt hätte. Sonst wäre sie vielleicht wie Lucy geworden. Nein, nicht vielleicht. Bestimmt wäre sie so geworden. Edda verstand, dass ihr in Lucy das Schicksal vorgespielt wurde, das auch sie hätte ereilen können.
    Edda konnte sich nicht mehr vorstellen, in ihr altes Leben zurückzukehren. Aber ein Neues gab es nicht. Noch nicht.
    Sie wurde müde. Ihre Augen fielen zu.
    Als sie wieder erwachte, war es noch tiefe Nacht. Edda war kalt und nirgendwo in der

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