Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
Ende zu setzen. Auf keinen Fall würde er zu Rob „Flanders“ und den Zwillingen zurückkehren. Die konnten ihm genauso gestohlen bleiben wie seine Eltern. Wieder stieg Bitterkeit in ihm auf und er wusste nicht, was er mehr hasste, die Bitterkeit oder die Tatsache, dass er sich ihr gegenüber so hilflos fühlte.
„Ich glaub, ich mach die Flatter“, sagte Linus leise zu Simon. Simon runzelte erstaunt die Stirn.
„Und wohin?“
„Wird sich schon was ergeben.“
Simon starrte Linus von der Seite an.
„Was ´n los?“
Linus hielt den Blick auf den Verkehr gerichtet.
„Komm allein einfach irgendwie besser klar.“
Dann bin ich mit Edda endlich ungestört, dachte Simon sofort. Doch bei dem Gedanken überkam ihn ein fast zärtliches Gefühl für den Jungen, der gerade so routiniert die Spur wechselte, als hätte er in seinem fünfzehnjährigen Leben nie etwas anderes getan, als Auto zu fahren.
„War übrigens blöd von euch abzuhauen. GENE-SYS hat euch ein Leben angeboten, wie ihr es nie mehr erreichen könnt. Ich hab euch alles versaut!“
Simon schaute ihn an.
„Zu dritt sind wir zu auffällig“, fuhr Linus fort in seiner Litanei. Es schien keinen Ausweg aus der Negativspirale zu geben. Zu der Bitterkeit über den Verlust seiner Eltern gesellte sich Selbstmitleid. „Sie werden uns suchen und finden und ...“
Als Linus merkte, dass er mit den Tränen kämpfte, hörte er auf zu sprechen. Er brachte den Wagen vor einer Ampel zum Stehen. Der Motor ging aus. Linus versuchte ihn wieder anzulassen. Noch einmal sprang er an. Kurz. Dann soff er röchelnd wieder ab. Regte sich nicht mehr. Nur noch das Leiern des Anlassers. Hinter ihnen begannen die Ersten ungeduldig zu hupen. Der Berufsverkehr staute sich. Linus biss die Zähne aufeinander und atmete schneller. Simon sah, wie Tränen in seine Augen stiegen.
„Ist doch alles total naiv! Wo sollen wir denn jetzt hin? Glaubt ihr, wir können hier auf der Straße leben? Wozu? Und wovon? Von unserer Freundschaft?“
Edda rappelte sich im Fond des Wagens auf und blickte verschlafen nach vorn. Sie sah, wie Linus den Kopf aufs Lenkrad legte und seinen Tränen freien Lauf ließ. Er hasste sich und sein Selbstmitleid, aber er konnte die Tränen nicht mehr aufhalten und er wollte es nicht. Das Hupen wurde immer lauter. Vorsichtig, als stünde er unter Strom, legte Simon seine Hand auf den Rücken von Linus. Erst wand er sich etwas unter der Berührung, doch dann ließ er sie geschehen und blieb ruhig.
„Was ist passiert?“, fragte Edda.
Linus drückte den Knopf für den Warnblinker und stieß zornig die Wagentür auf.
„Der Scheißtank ist leer! Das ist passiert! Hat einer von euch vielleicht Geld zum Tanken?“
Simon und Edda schüttelten den Kopf. Die ersten Autos begannen hupend um Olsens Wagen herumzufahren. Wütend trat Linus nach einem teuren Jeep, der ihn beinahe angefahren hätte.
„Hier auf der Straße können wir nicht stehen bleiben“, warnte Simon.
„Das weiß ich selbst“, keifte Linus. „Sorry“, schob er nach, als er in Simons Blick erkannte, dass er sich im Ton vergriffen hatte.
Simon und Edda stiegen aus. Zusammen schoben sie den Wagen an den Straßenrand in eine Parkbucht, während Linus das Steuerrad durch die offene Fahrertür bediente. Sie nahmen ein paar Sachen aus dem Auto, schlossen ab und liefen zum nächsten U-Bahn-Schacht. Während sie auf die Bahn warteten, klappte Linus seinen Computer auf und fand Thorbens Adresse. Er wohnte in Charlottenburg. Eine halbe Stunde entfernt.
„Wie ich die Mutter von Thorben kenne, wird sie gleich die Polizei rufen“, sagte Simon.
„Oder die Feuerwehr.“
„Den Kammerjäger.“
„Kammer... was?“
„Die Krabbelbekämpfung!“
Sie lachten. Als der Zug eintraf, fiel ihnen ein, dass sie keine Fahrkarten hatten. Aber sie wollten ihr letztes Geld nicht für die U-Bahn opfern. Also stiegen sie in den ersten Wagen und Simon schaute bei jedem Stopp aus der Tür und auf den Bahnsteig, ob Leute zustiegen, die wie Kontrolleure aussahen. Alles ging gut.
Als sie vor Thorbens Haustür ankamen, war es kurz nach sieben Uhr morgens. Simon und Linus setzten sich auf einen heruntergekommen Kinderspielplatz neben dem Haus. Die bunte Ente und das Pferdchen auf den verbogenen Spiralen erschienen ihnen wie trostlose Boten aus ihrer Kindheit und doch stimmte ihr Anblick die Jungs für einen Augenblick sentimental. Auf dem Boden daneben lagen Bierdosen und Kippen. Ein Hund hatte zur Krönung des
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