Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
zusammengepackt, was an Tauchgerät von Elisabeth dort gelagert war. Mit wenigen Handgriffen hatte er geprüft, ob das, was er brauchte, in einwandfreiem Zustand war. Erst jetzt im Wagen kam ihm auch das seltsam vor. Woher wusste er, worauf er beim Tauchen zu achten hatte? Er musste in seinem Leben vorher all das gelernt haben. Er beschloss, seinem Instinkt zu vertrauen. Er hatte das sichere Gefühl, dass ihn dieser Instinkt schützen könnte.
Olsen lenkte Elisabeths Wagen zu der Stelle, die er mit ihr schon vor zwei Tagen besucht hatte. Sie hatte ihn hergeführt, hatte ihm erzählt, wie und wo sie ihn gefunden hatte. Nichts davon erinnerte ihn an das Geschehen, das beinahe zu seinem Tod geführt hatte. Es war, als hätte jemand die Datei seines bisherigen Lebens komplett gelöscht.
Olsen war alles noch einmal im Kopf durchgegangen. Er hatte Elisabeth in den letzten beiden Tagen verrückt gemacht, weil er sie immer wieder erzählen ließ, was sie wusste. Jedes Detail. Er hörte dieser Frau zu, und während der eine Teil in ihm Elisabeth ohne ein freundliches Wort ständig und unerbittlich drängte und trieb, war da der andere Teil in ihm, der sie still bewunderte. Der ihre Augen sah, die von Leid und Lachen erzählten. Der ihre warme Stimme mochte. Der registrierte, mit welch großer Geduld sie versuchte, ihm zu helfen. Immer wieder aufs Neue berichtete sie. Bemühte sich, jedes noch so unwichtige Teil des Puzzles aus ihrer Erinnerung zu kramen. Doch nichts schien Olsen weiterzubringen. Also entschloss er sich, selbst dort nach Spuren zu suchen, wo man ihn hatte versenken wollen.
Als der Morgen graute, erreichte er den Platz, an dem Elisabeth freitags tauchen ging. Gesteuert von seinem Instinkt nahm Olsen zuerst die Umgebung in sich auf. Herr Wehner wich nicht von seiner Seite und verhielt sich vollkommen still, als achte er die Konzentration von Olsen. Fasziniert beobachtete der sich selbst dabei, wie er alles abscannte. Die Geräusche. Die Gerüche sogar. Die gesamte Szenerie. Der fast nicht spürbare, sanfte Wind. Die Feuchtigkeit der Luft, die er mit jedem Atemzug in sich aufnahm. Die Nebelschwaden, die in sanften Bewegungen wie sich eitel spiegelnde Geister über das Wasser glitten. Sich kräuselten, als ein Reiher aufgescheucht davonflog. Olsen ließ seinen Blick über die Parkbucht an der Straße gleiten, über die man mit einem Wagen bis hinunter zum Ufer gelangen konnte. Uneinsehbar. Da war der felsige Untergrund, der es unmöglich machte, Reifenspuren im Nachhinein zu entdecken. Olsen konnte nicht fassen, warum er all diese Dinge bedachte. Es war, als säße ein forensischer Profiler in seinem Hirn. Oder ein trainierter Killer, dachte Olsen plötzlich. Und erschrak.
Er zog seine Kleider aus und schnallte die Sauerstoffflasche um. Dann griff er nach der Taschenlampe und ging zum Ufer. Dort schlüpfte er in die Schwimmflossen, setzte die Taucherbrille auf. Das Wasser war kalt. Aber Olsen machte das nichts aus. Woher hatte er gewusst, dass ihm das nichts ausmachen würde? Er tauchte ab, schaltete die starke Taschenlampe ein. Steil fiel hier das Ufer ab. Gute 20 Meter. Olsen begriff, warum man ihn hier hatte versenken wollen. „Hätte ich auch gemacht“, dachte er und erschrak auch über diesen Gedanken. Hatte er so etwas vielleicht schon einmal getan? Hatte er getötet?
Olsen folgte dem Fremden in sich, er wusste, dass er sich auf ihn verlassen musste, wenn er erfahren wollte, wer er wirklich war. Immer tiefer tauchte Olsen hinab, immer trüber wurde das Wasser. Er orientierte sich an der Felswand. Der Kegel der Taschenlampe erfasste die scharfen Kanten, schreckte einen riesigen Wels auf. Die Hinterflosse des Fisches klatschte gegen Olsens Kopf und riss die Brille herunter. Olsen reagierte schnell und exakt. Mit dem Licht der Taschenlampe erfasste er die Brille über sich und setzte sie wieder auf. Er musste sie kurz richten. Plötzlich bewegte sich etwas. Unter Olsen. In der Dunkelheit und abgelenkt von dem Verlust der Brille hatte er nicht bemerkt, wie sich unter ihm ein unfassbar riesiges, weißes Maul geöffnet hatte. Olsen zuckte zurück. Hektisch bewegte er die Flossen, um zu entkommen. Doch es schien, als würde er damit das Maul nur noch weiter öffnen. Olsen verharrte für einen Moment. Er wollte an die Wasseroberfläche, doch sein Instinkt reagierte nicht auf das, was sein Kopf wollte. Das Maul schloss sich, schmiegte sich an Olsen, wie eine zweite Haut. Es war plötzlich überall und wollte
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