Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
zur Tür. Aber da standen drei Kinderwägen im Weg wie eine Wagenburg.
„Was jetzt?“
Als die Bedienung zurückkam, um auch bei ihnen zu kassieren, lächelte Edda nett und sagte mit größter Selbstverständlichkeit, dass sie ihre Eltern angerufen hätte.
„Die kommen gleich und zahlen“, sagte sie freundlich und „Ah, da!“ Sie deutete durch die Frontfenster des Bistros nach draußen, wo – unschlüssig noch – ein Touristenehepaar mit Reiseführer stand. Die Bedienung, aber auch Linus und Simon folgten Eddas Zeigefinger. Und sahen zu, wie Edda nach draußen lief, das Ehepaar ansprach, sehr vertraut tat und lachte und gestikulierte und nach innen deutete. Der Mann und die Frau kamen herein und steuerten auf den Tisch der Kinder zu. Edda draußen winkte heftig Linus und Simon zu sich. Die erhoben sich, begrüßten freundlich, aber komplett ohne Peilung das Paar und verschwanden hinaus.
„Sechsungvierzig fuffzich“, sagte die Bedienung zu dem Ehepaar.
„Sorry?“, sagte der Mann in feinstem Englisch und vollkommen ahnungslos.
„Sechsungvierzig fuffzich“, nervte die Bedienung weiter. „Für ihre Blagen ...“
„Sorry?“
Da begann es der Bedienung zu dämmern. Sie schoss durch die Tisch- und Stuhlreihen, riss die Tür auf. Aber Edda, Linus und Simon waren verschwunden.
„Sorry!“, rief der Engländer freundlich.
„Jeb dir jleich ’nen sorry ... Scheiße!“
Im dunklen Hintergrund des Bistros lächelte der hagere Mann.
Die drei Freunde fetzten die Straße hinunter. Bis sie nicht mehr konnten. Auf ihre Knie gestützt atmeten sie durch. Weiß verschwand ihr Atem in die Kälte. Simon schaute zu Edda auf.
„Wie war das? Nicht stehlen? Du hast in sowas mindestens doppelt so viel Talent wie wir beide zusammen!“
„Ja. Das war nicht ganz so übel“, lächelte Linus. „Was hast du den Typen gesagt?“
„Dass der Laden DER Berliner Geheimtipp ist. Und dass sie unseren Tisch haben können.“ Edda musste grinsen. Irgendwie war sie stolz, dass ihr das so spontan eingefallen war. Es fühlte sich so leicht an. Vor allem, weil sie gar kein schlechtes Gewissen hatte. Vielleicht war es die Aussicht, dass sie mit dem, was sie bei der Zeitung ins Rollen gebracht hatten, Marie bald befreit und GENE-SYS an den Pranger gebracht haben würden.
„Was machen wir, bis Eugene sich meldet?“, fragte Edda. Und gab selber gleich die Antwort: „Zoo!“ Sie schaute in die griesgrämigen Gesichter der Jungs. „Bitte“, bettelte Edda und setzte wieder auf ihren einmaligen Augenaufschlag.
„Edda, is gut jetzt!“ Linus wollte Edda von der Scheibe wegholen. Die Jungs waren schon in allen Reptilien- und Vogelhäusern gewesen. Im Aquarium und bei den Wildkatzen. Aber Edda war gleich bei den Gorillas geblieben. Fasziniert von einem Silberrücken hatte sie sich an die große Scheibe gesetzt und war nicht mehr ansprechbar. Immer wieder kehrte der Gorilla zu Edda zurück.
Linus sah ihr zu. Er hatte das Gefühl, dass da wirklich eine Verbindung zwischen den beiden entstanden war. Er konnte das nicht nachvollziehen. Für ihn stank es hier vor allem gewaltig. Und wenn er ehrlich war, spürte er eine Wut in sich aufsteigen. Linus ärgerte sich darüber. Er kannte dieses Gefühl. Das war das Gefühl, das er schon als kleiner Junge gespürt hatte, wenn er seine Eltern zu Hause in Köln in ihrem Gewächshaus beobachtete. Wie sorgsam sie mit ihren Pflanzen umgingen. Eifersucht war das, wusste Linus.
„Schöne Scheiße“, dachte er. „Jetzt bin ich schon eifersüchtig auf ’nen Affen.“ Erst jetzt, in der Erinnerung daran, fiel ihm auf, wie nah er sich Edda in dem Bistro gefühlt hatte. Wie gut es sich angefühlt hatte, mit ihr zu lachen. Erst jetzt erinnerte er sich, wie sie ihre Hand auf seinen Arm gelegt hatte, als eine japanische Reisegruppe zum eingespielten Hip-Hop die Straße entlangstolziert war.
„Ich bin ein Idiot“, sagte er zu sich.
„Selbsterkenntnis“, antwortete Simon lapidar. Er stand jetzt direkt neben ihm. Gemeinsam beobachteten sie Edda und den Gorilla.
„Was für ein Paar“, sagte Simon.
„Bist auch ’n Idiot“, sagte Linus.
Draußen wurde es schon dunkel, als sie Edda endlich dazu bewegen konnten, ihren neuen Freund zu verlassen. Erst als sie über die Budapester Straße zu ihrem Auto gingen, schien Edda zurück in die Realität zu finden.
„Warum hab ich mich so sicher gefühlt, bei ihm?“, fragte sie und klang dabei sehr ernst. Sie war stehen geblieben und schaute die Jungs
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