Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
eben nicht mit ihr zu tun. War auch okay. Aber Olsen, dieser hässliche Mann, der vom Alter her locker ihr Großvater hätte sein können, gewann ihr Mitgefühl. Seltsam, so für einen Menschen zu empfinden, dachte sich Judith. So ein Gefühl kannte sie nur gegenüber Tieren.
„Sorry“, sagte sie und schaut kurz auf. „Die Leute haben Angst, nehm ich an.“ Olsen lächelte.
„Schon in Ordnung“, antwortete er und betrachtete Judith. Sie schaute weg. „Danke, dass du dich so gut um Timber gekümmert hast.“ Judith spürte, dass er das ehrlich meinte und das machte sie stolz. Sie erzählte, wie begabt Timber für Kunststücke war und dass sie das beurteilen könne, denn sie stammte aus einer Familie von Akrobaten und Zirkusleuten. Timber streckte vom Rücksitz seine Schnauze vor und bellte, als hätte er sie verstanden. Die beiden lachten.
Olsen hielt inne, weil ihn das Gefühl zu lachen vollkommen irritierte. Es war, als betrete er völliges Neuland, wie Neil Armstrong, als er vor über vierzig Jahren als erster Mensch den Mond betrat. Ein großer Schritt für Olsen.
Er tastete sich in ein Lächeln. Ein Lachen. Das fühlte sich gut an, dachte Olsen. Aber auch neu. Hatte er nicht gelacht in seinem Leben bisher? Was er über sich herausgefunden hatte, ließ diesen Schluss durchaus zu. Die Sequenz seiner Recherche, in der er sich selber als Mörder überführt hatte, die hatte er Judith verschwiegen.
„Ich fürchte, Linus ist in Gefahr“, sagte Olsen schließlich, als all das gute Lachen verstummt war. „Er hat den Mann gesehen, der mich töten wollte.“
„Linus wollte nach Berlin“, sagte Judith tapfer und scheinbar gelassen. Sie wollte nicht, dass Olsen spürte, dass sie Angst um Linus hatte. Dann berichtete sie, dass die Polizei hinter Linus her war, weil Rob, der neue Vater, Linus als vermisst gemeldet hatte. Der Kommissar, der bei Rob gewesen war, hatte auch Judith befragt. Aber sie hatte nichts verraten. Nicht den Bullen.
„Und Linus hat keinen Kontakt mehr aufgenommen?“
„Bisher nicht“, sagte Judith, um gar keinen Verdacht einer Nähe zu Linus aufkommen zu lassen. War ja auch keine Lüge. » Alles cool hier, Miss u « war ja nicht wirklich eine Kontaktaufnahme. „Nein, kein Kontakt“, bekräftigte sie. „Warum sollte er auch?“
„Ich dachte, dass es ihn vielleicht interessiert, wie es Timber geht“, brachte Olsen das Gespräch geschickt wieder auf neutrales Terrain. Judith schüttelte den Kopf.
Olsen fuhr Judith nach Hause. Schweigend saß sie neben diesem fremden Mann. Was hatte ihre Mutter ihr immer eingebläut? Niemals in das Auto eines Fremden einsteigen! Fünfzehn Jahre hatte sie das locker geschafft und jetzt, wo sie fast erwachsen war, da hockte sie neben einem Mann, der fast gestorben war, den man beinah umgebracht hatte, der ihr Geschichten von Gehirnmanipulationen erzählte und der selbst offensichtlich einen ziemlichen Dachschaden hatte. Judith spürte, wie sich ihre Hände in den Sitz krallten.
„Sie können mich da gleich rauslassen.“
„Aber ich dachte, du wohnst ...“
„Nein!“, sagte Judith laut und energisch. Lauter und energischer als sie es wollte. „Da, da vorne arbeitet meine Mutter.“ Sie deutete auf den Saturnladen am Hansaring. Olsen hielt den Wagen an. Judith öffnete die Beifahrertür und schon sprang ihr Timber auf den Schoß. Es war eindeutig: Timber wollte mit ihr gehen. Judith sah von dem Hund zu Olsen. Auch ihm war klar, dass er seinen alten Freund nicht würde aufhalten können. Er lächelte traurig, streichelte Timber und nickte dann.
„Sowieso besser. Ich werde nach Berlin fahren und nach Linus suchen“, sagte er. „Vielleicht kann ich seinem Verfolger zuvorkommen.“
„Ja, bitte“, sagte Judith. Sie meinte das ganz und gar ehrlich und spürte, wie sie rot wurde. Wie sie das hasste. Olsen überging es und gab ihr seine Handynummer. Dann fuhr er schnell davon. Was war das für ein dummes Gefühl, das da seine Brust so eng machte? Da bahnte sich kein Herzinfarkt an, das war ihm klar. Er sah zurück in den Spiegel und sah Judith stehen, Timber auf dem Arm. Noch immer schaute sie ihm hinterher. Das dumme Gefühl stieg Olsen bis in den Hals, bis in die Kehle. Er hustete, aber das Gefühl schnürte ihn weiter ein. Er musste sich irgendwie ablenken und stellte das Radio an. » Me and you and a dog named Booh « , ausgerechnet.
„Idiot!“ Olsen schaltete das Radio ab und beschloss, noch in derselben Nacht nach Berlin
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