Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
Namen an, der das Video hochgeladen hatte: » Iknowwhatyoudid « . Unter diesem Namen waren noch mehr Videos von Timber eingestellt worden. Das Mädchen hatte dem Hund eine Menge Kunststücke beigebracht. Das letzte Video, das sie hochgeladen hatte, war von vor einer Woche. Olsen spürte, er kam der Sache näher, auch wenn auf keinem der Filme noch einmal Linus zu sehen war. Alle Videos waren entweder unter der Autobahnbrücke oder an den Rheinwiesen aufgenommen worden. Und jedes Mal schien es eine ähnliche Tageszeit zu sein. Olsen beurteilte das nach dem Stand der Schatten. Er wunderte sich, dass er das konnte. Es war völlig selbstverständlich für ihn. Irgendwann zwischen fünf und sechs am Nachmittag. Ein weiterer Hinweis bestätigte ihm seine Berechnung, zumindest, was die Rheinwiesen anging. Bei einigen Videos war im Hintergrund ein Dampfer der Köln-Düsseldorfer zu sehen, der rheinabwärts tuckerte. Olsen checkte das mit dem Fahrplan der Vergnügungsdampferflotte ab. Um 18 Uhr legte das Boot von Mainz kommend in Köln an.
Olsen beschloss, in den nächsten Tagen an den Rheinwiesen und unter der Autobahnbrücke sein Glück zu versuchen.
Am zweiten Tag seiner Suche nach Timber und Linus und dem Mädchen hatte es begonnen zu regnen. Olsen wollte die Rheinwiesen verlassen und zurück zu Elisabeths Wagen laufen. Plötzlich sah er aus dem Augenwinkel, wie etwas auf ihn zugeschossen kam. Sein Instinkt nahm es wahr, bevor Olsen es sehen konnte. Er ging sofort in Abwehrstellung, spürte, wie sich Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand versteiften und bereit waren, in der nächsten Sekunde hervorzuschnellen wie eine Waffe, um den Angreifer kampfunfähig zu machen. Alle Sinne waren auf „Gefahr“ eingestellt. Dann hörte er ein Bellen. Olsen wandte sich um. Timber. Der Hund hatte Olsen erkannt und war auf ihn zugestürmt. Das Mädchen vom Video eilte hinter Timber her und rief ihn bei Fuß, aber Timber hatte gar keine Lust zu hören.
„Der tut nichts“, rief Judith. Als sie außer Atem angekommen war, war ihr klar, dass Olsen und Timber einander nicht fremd waren. Timber war nur noch wuselnde Seligkeit mit Fell. Er wusste gar nicht mehr, wohin mit seinem Glück. Die Freude des Hundes rührte Olsen. Er war ganz und gar mit Timber beschäftigt. Judith schaute fassungslos zu, bis sie die seltsame Kopfform des Mannes erkannte. Automatisch wich sie einen Schritt zurück. Olsen nahm das wahr und schaute auf.
„Er kennt mich“, sagte er. „Timber kennt mich gut.“
„Sie sind der Blötschkopp ...“, staunte Judith und begriff, dass Olsen nichts begriff.
„Blötschkopp, was heißt das?“
„Na, dass Sie da ’ne Delle haben. ’n Blötsch eben.“ Sie deutete an ihrem Kopf auf die Stelle, die Olsen fehlte. „Die Leute, die nennen Sie so, deswegen.“
Olsen nickte. Man kannte ihn also.
„Und Sie sind nicht ... tot?“ Judith konnte es nicht fassen. Und dann wurde sie ärgerlich. „Na, klar! Der kleine Scheißer. Hat mich voll verarscht. Und ich hab’s geglaubt!“
„Wer?“, fragte Olsen. „Linus?“
„Ja. Er hatte das behauptet. Dass Sie tot sind. Dieser miese kleine ...“
„Er hatte recht“, sagte Olsen, bevor Judith ihre Tirade loswerden konnte. Sie schaute ihn mit ihren großen Augen an. Olsen las darin ihren Unglauben. Und so einen Satz wie „Verarschen kann ich mich selber“. Aber er las in ihren Augen auch Ehrlichkeit und eine Traurigkeit, die sich hinter der Fassade des toughen Mädchens versteckte. Er las eine Sehnsucht nach Ernsthaftigkeit, die sie verbarg, damit man sie damit nicht aufziehen konnte. Olsen begriff, dass er diesem Mädchen vertrauen konnte. Also erzählte er ihr seine Geschichte, soweit er sie selber kannte.
Sie hatten sich mit Timber in Elisabeths Wagen zurückgezogen. Draußen prasselte der Regen auf das Dach und drinnen hinter den beschlagenen Scheiben hörte Judith gebannt zu, was Olsen zu berichten hatte. Er hatte mit seinem Erwachen bei Elisabeth begonnen und endete nun mit seiner Youtube-Recherche.
„... also bin ich in den letzten Tagen immer zwischen fünf und sechs hierhergekommen.“
„Cool“, sagte Judith und das sollte unbedingt lässig klingen. „Clever!“
„Was weißt du noch über mich?“
„Dass Sie keiner so recht mag“, sagte Judith und erst als sie es ausgesprochen hatte, tat es ihr leid. So was war sonst gar nicht ihr Fall. Sie redete immer geradeaus. Mussten die Leute eben aushalten, die mit ihr zu tun hatten. Sonst hatten sie
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