Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
Rückbank des Wagens aufgewacht. Sie hatte Schritte gehört, hatte einen Schatten bemerkt. Linus wachte aus einem wunderschönen Traum auf. Er war geflogen. Eigentlich war er geschwebt. Er hatte nur die Luft anhalten müssen und schon hatte sich sein Körper vom Boden gelöst. Mit Schwimmbewegungen konnte er seinen Flug steuern. Leicht hatte er sich gefühlt. Endlich leicht und unbeschwert. Er wollte zurück in den Traum, aber Edda schüttelte ihn.
„Linus! Da ist wirklich einer!“
Linus rappelte sich auf, schaute verschlafen zur Fahrerseite hinaus und erschrak. Da war ein Gesicht. Ganz nah.
„Mach endlich auf!“
„Arsch!“, schimpfte Linus. Draußen stand Simon. Linus öffnete die Beifahrerseite und Simon schlüpfte herein. Er hielt ihm eine Parkkarte hin.
„Fahr los! Mach schon!“, sagte Simon.
„Hä?“
„Raus aus dem Parkhaus!“, drängelte Simon. Er hatte die Parkbedingungen gelesen. Eine Parkdauer von einer halben Stunde war kostenlos. Deshalb hatte er sich an der Einfahrt ein Ticket gezogen. Vor zehn Minuten.
„Bist du wahnsinnig. Da ist ’ne Kamera“, sagte Linus.
„Die ist leider ausgefallen“, lächelte Simon. „Und jetzt mach hinne. Ich hab eine Unterkunft für uns gefunden.“
Edda starrte Simon von der Rückbank an. Sie lächelte, als er sich zu ihr umdrehte.
„Wir dachten, du wärst abgehauen.“ Simon hörte das Bedauern, das in Eddas Stimme lag. Er lächelte zurück.
„Werd euch doch nicht im Stich lassen. Ohne mich seid ihr doch aufgeschmissen.“
„That I not laugh“, spottete Linus in betont miesem Englisch. Er fummelte nach dem Schlüssel. „Wo warst du?“
„Hab eine Bleibe gefunden“, sagte Simon. „Fahr los!“
Linus startete den Wagen. Vorsichtig setzte er zurück und steuerte aus der Tiefgarage hinaus. Nicht ohne in den engen Kurven die Stoßstangen in Mitleidenschaft zu ziehen. Er stoppte an der Ausfahrt, stand so weit von dem Terminal, in den er die Karte einschieben musste, weg, dass er sich aus dem Fenster hangeln musste, um an den Schlitz zu gelangen. Linus hielt dem Automaten die Karte hin, der schluckte sie, die Schranke öffnete sich und sie fuhren davon.
Laut gab die Diesellok Signal. Die drei Freunde standen am Gleis und ließen den Güterzug passieren. Der eiskalte Fahrtwind rupfte an ihren Haaren, bis der Zug davongerattert war. Dann eilte Simon voran über die Gleise.
Wie Schatten huschten sie dahin und gelangten schließlich zu dem Signalhäuschen; mitten in dem Gewirr aus stählernen Trassen.
„Nicht auf die Stromabnehmer treten“, warnte Linus.
„Moment!“ Simon ging voran und tat so, als wolle er hinter der Tür einen Ballsaal präsentieren. Es war nur der Raum mit den Signalhebeln. Aber Simon hatte aufgeräumt. Es war gefegt, Bretter lagen auf zwei alten Ölfässern und bildeten einen Tisch, Baumstümpfe dienten als Sitze, ein zersessener Korbstuhl stand im Bereich der „Lounge“. Die Freunde staunten.
„Schön warm hier!“ Edda war überrascht, schaute sich um.
„Tata!“, tönte Simon und mit einem Klick brannte sogar eine alte Tischlampe. Simon hatte an einem nahen Sicherungskasten Strom abgezweigt und all das zusammengesammelt. In kürzester Zeit. Es war nicht schwer. Der Müll entlang der Bahnstrecken Berlins gab allerlei her.
„Und oben?“, fragte Linus. Er ging voran die Stufen hinauf. Im Obergeschoss hatte Simon die kaputten Fenster mit Pappe verdeckt. Er hatte eine Menge Heu und Stroh gesammelt und in eine Ecke platziert.
„Hier schlafen wir“, sagte er.
„Super!“ Edda war begeistert. „Wir haben unser eigenes Heim. Beste Lage!“ Sie umarmte Simon spontan und innig. Eddas Lachen und Linus’ Respekt freuten Simon. Er war stolz, dass er nun auch etwas dazu beigetragen hatte, dass sie ihren Plan bestmöglich ausführen konnten. Sie hatten ein Hauptquartier. Sie hatten es warm. Sie hatten fließend Wasser und Strom. Edda ging ans Fenster.
„Hey, sogar mit Terrasse!“ Sie deutete auf den schmalen Sims. „Ich find’s cool. Hier bleiben wir.“ Und als sie noch aus dem Fenster schaute, krächzten hinter ihr zwei Stimmen ein Happy Birthday. Edda sah sich um. Linus und Simon standen vor ihr und hatten einen Fertigkuchen mit einem Kerzenstummel geschmückt. Edda überlegte irritiert.
„13. November?“
Die Jungs nickten in ihrem schrägen Gesang. „Happy birthday to you, happy birthday to you ...“
„Mit DSDS wird das aber nix“, seufzte Edda gerührt. Sie hatte glatt ihren eigenen Geburtstag
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