Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
komisch?“
„Wie der sich jetzt wohl fühlt?“ Simon grinste die beiden anderen an und zeigte den kleinen Finger. „Jetzt, wo er nicht mehr der Kleinste ist.“
„Er könnte den anderen den Stinkefinger zeigen!“, lachte Linus.
„Umzingelt von Perversen“, sagte Edda. Sie nahm Simons Hand und betrachtete den Stumpf genauer. Es interessierte sie wirklich und es machte ihr nichts aus, die Wunde zu betrachten. Vor ein paar Monaten noch wäre Edda bei einem solchen Anblick in Ohnmacht gefallen. Jetzt aber spürte sie beinahe wissenschaftliches Interesse an der Verletzung. Der Schnitt war gut verheilt. Sie legte kurz ihre beiden Hände auf seine. Es war ein Reflex. Edda hatte das Gefühl, dass das jetzt richtig war. Simon sah sie erstaunt an. Für einen Moment schaute er tief in ihre Augen. Für den Moment, in dem sie seine Hand hielt. In diesem Moment war er sich sicher, dass er Edda liebte. Glaubte er. Edda nieste.
„Ab in die Sauna!“, befahl Linus.
Nach ihrem wahnwitzigen Abenteuer hatten sie schlotternd vor Kälte den Wagen erreicht. Linus hatte Schwierigkeiten gehabt, den Schlüssel in das Zündschloss zu stecken. Beim Versuch, den Wagen anzulassen, klackerte es so wild und schnell, als wolle Linus den Weltrekord im Morsezeichen-Senden brechen. Schließlich startete er den Motor und fuhr los, ohne zu wissen wohin. Sie hatten keinen Ort mehr, an den sie sich zurückziehen konnten. Das Abbruchhaus an den Gleisen gehörte jetzt der Gang. Thorben wurde von seiner Mutter bewacht. In den Straßen Berlins hätten sie sich, durchnässt wie sie waren, den Tod geholt.
Edda war auf die Idee mit dem Hallenbad gekommen. Sie hatte auf dem Stadtplan das Charlottenburger Stadtbad entdeckt und lotste Linus dorthin. Was bei Eddas Rechts-Links-Schwäche ein wenig dauerte. Kurz bevor das Bad schloss, erreichten sie es. Die Kasse hatte schon dicht gemacht und sie huschten, versteckt vor den Blicken der Frau im Kassenhäuschen, von einer zur nächsten der gekachelten Säulen und hinein in den Badebereich. Dort schnappten sie sich ein paar von den Handtüchern und versteckten sich in den Umkleidekabinen, bis das Bad geschlossen war. Als einer der Bademeister noch die Kabinen kontrollierte, verschwanden sie kurz auf die Toiletten. Dann waren sie allein. Ihre nassen Klamotten hingen zum Trocknen an den Heizungen, Simon hatte den Verband gelöst und sie waren in die Sauna verschwunden. Schweigend saßen sie in der Restwärme und fühlten, wie ihre Körper wohlig warm wurden. Alle drei hatten die Handtücher nicht abgelegt. So nah, so nackt waren sie einander noch nie gewesen.
Die beiden Jungs hatten sich ganz nach oben gesetzt. Edda saß vor ihnen. Und Linus und Simon konnten nicht anders als zuzusehen, wie die ersten Schweißtropfen aus Eddas hochgesteckten Haaren hervortraten, verharrten. Wie scheue Eichhörnchen, dachte Simon. Er hatte sie immer mit David beobachtet, wie sie aus dem Schutz des Waldes hervorlugten, um Nüsse unter den Walnussbäumen auf einer Wiese einzusammeln. Die Schweißtropfen hatten sich gelöst und huschten über Eddas schmalen Hals, entlang ihrer Wirbelsäule den Rücken hinunter. Sie verschwanden dort, wo das Handtuch eine Handbreit nicht am Rücken anlag, weil die geraden Schultern von Edda das Frottee spannten.
„Spanner“, dachte Linus und grinste. In Gedanken war er gerade mitsamt dem ersten Tropfen Eddas gesamten Rücken hinuntergeflossen. In seiner Vorstellung hatte der Tropfen an der kleinen Wölbung des untersten Wirbels der Säule gestoppt und gewartet, dass die anderen Tropfen dem ersten Weg folgten. Um dann ...
„Das war komplett idiotisch“, sagte Edda.
„Großartig ...“, dachte Linus gerade noch.
„Der ganze Plan ...“ Edda wandte sich um und sah die beiden an.
„... war scheiße, ich weiß.“ Linus war zurück und hatte kapiert, was Edda meinte. Die sah ihm ins Gesicht und lachte. Das war die einzige Reaktion, die möglich war, für das, was sie hinter sich hatten.
„Wir hatten echt gute Schutzengel“, sagte sie.
„Oder wir sind einfach unkaputtbar“, lachte Linus. Aber sein Lachen verstummte schnell. Edda und Simon hatten nicht eingestimmt. Erst jetzt schien jedem Einzelnen von ihnen klar zu werden, in welch großer Gefahr sie gewesen waren. Zu oft hätte es schiefgehen können. Sie hatten das Schicksal herausgefordert und sie fragten sich, wie oft es sich noch so gnädig zeigen würde wie in dieser Nacht. Zu all dem kam die Enttäuschung, dass ihr Plan nicht
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