Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
Greta das Schlaflabor betrat, versuchte Victor, eine entsprechende Stelle in Maries Gehirn anzusteuern.
Gretas Auftauchen passte ihm nicht.
„Und? Fortschritte?“
„Ihre Erinnerung springt immer wieder von der Fahrt zum Wintergarten zu einer Autofahrt. Die vier Stunden dazwischen bleiben verschwunden.“
„Irgendein Anhaltspunkt dafür, was Bernikoff vorgehabt hat? Wieso sprach er vom großen Tag? Von einem Plan? Wofür steht dieses kleine Sonnenrad in der Vakuumglocke?“
Greta legte ihr iPad auf den Tisch und zeigte Victor Aufnahmen der Sonnenräder im Berliner U-Bahn-System, die GENE-SYS beseitigt hatte, nachdem sie von Linus entdeckt und als eine Art App verwendet worden waren.
„Erstaunlich“, sagte er. „Die Bilder in Maries Kopf sind wirklich bei Weitem zu detailliert, als dass es sich um Hirngespinste handeln könnte.“
„Gibt es vielleicht die Möglichkeit, über ein anderes Areal ihres Gehirns diese fehlenden vier Stunden anzusteuern?“, überlegte Greta.
Victor zögerte.
„Nun, in Träumen werden Informationen über Erlebtes registriert und gespeichert. Sie werden für den Menschen langfristig codiert – also unter bestimmten Bedingungen abrufbar gemacht.“
„Wenn es gelänge den Ort in Maries Gehirn zu finden, an dem diese Codierung verankert ist, könnten wir einen neuen Zugang finden?“, fragte Greta.
Victor nickte.
„Einen Zugang zur Fantasie – die ist nicht an die Beschränkungen der Realität gebunden.“
Greta rollte genervt mit den Augen. Sie wusste, was Fantasie vermochte. Und sie spürte Victors Widerstand, weiterzugehen, tiefer in die Psyche der Frau einzudringen, die seit Wochen hilflos in einem Wachschlaf lag und deren Verfassung sich immer weiter verschlechterte. Offenbar hatte Greta Victor überschätzt. Wieso hatten Männer so viele Skrupel, wenn es um Frauen ging?
„Träume verarbeiten auch jene Dinge, die das Bewusstsein verdrängt“, entgegnete Greta. „Irgendwo muss so eine Erfahrung ja verarbeitet werden ... Wenn es denn eine war.“
Sie verkniff sich einen eisigen Blick auf Victor.
„Das Problem ist weniger das Aufzeichnen der Träume“, führte Victor Gretas Überlegungen fort. „Das Problem ist, dass wir Marie mit ihrem Unterbewussten konfrontieren würden. Unvorbereitet. Ohne Anleitung. Ohne zu wissen, welche Dämonen wir da aufrufen oder freisetzen. Es kann sein, dass sie den Verstand verliert. Es ist sogar wahrscheinlich.“
Greta schwieg. Sie spürte, dass sie auf dem richtigen Weg war. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit und wie immer wusste sie genau, was zu tun war.
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Als die Flasche leer war, setzte Linus eine gehörige Arschbombe ins Wasser. Da es keine Sprungbretter gab, war er auf die Brüstung des Umgangs geklettert und hatte sich hinabgestürzt. Die beiden anderen folgten und mit jedem Promille, das sie mehr intus hatten, verloren sie an Hemmungen. Sie hatten überlebt. Einen heißen Ritt durch die Kanalisation hatten sie ohne größere Schäden überstanden.
„Den heißesten Ritt aller Zeiten!“, johlte Linus. Sie waren durch die Abwässer der Stadt gesurft. Sie waren nicht aus Asche auferstanden, wie Phönix, sondern aus Scheiße. Wer konnte das schon von sich behaupten? Sie lebten und das musste gefeiert werden. Verpoorten half, alle anderen Gedanken zu vertreiben.
Sie schwammen nackt herum, tauchten. Lachten. Sprangen von der Brüstung, kletterten die metallenen Bögen der Dachkonstruktion entlang und ließen sich in das Wasser fallen.
„Unkaputtbar“, rief Edda und die Jungs wiederholten es, grölten es in die Nacht. „Wir sind unkaputtbar!“
Der interne Arschbombenwettbewerb ergab keinen Sieger. Wie auch. Sie hätten ihn nur am Geräusch bestimmen können.
„Unentschieden“, einigten sie sich. Und dann trieben sie auf dem Rücken im Wasser. Das gläserne Dach bot einen herrlichen Ausblick auf das Gewitter, das immer noch über der Stadt tobte. Einzig Eddas Schluckauf unterbrach die fast heilige Stille.
„Ach, Edda“, seufzte Linus. Wie sehr er diese romantischen Momente liebte, die durch Edda so herrlich unperfekt wurden. Ob sie sich dessen bewusst war?
„Sorry“, sagte Edda. „Hat nichts Gutes zu bedeuten, mein Schluckauf.“
„Hä?“
„Ich hatte Schluckauf, kurz bevor meine Mutter in die Klapse abgeholt wurde und als meine Mutter mir erklärte, dass sie meinen Vater gar nicht kennt. Da hatte ich auch vorher Schluckauf.“
„Ach, Edda“, wiederholte Linus. Da flackerte das Licht
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