ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
Energie zu gelangen.
Simon spürte, dass sich hier endlich der große Kreis zu schließen begann. Es schien, als habe Olsen recht gehabt, als er von der unermesslich großen Bedrohung durch die neuen Herren von gene-sys sprach. Und dass man sie stoppen müsse, bevor sie über die Monopole auf den Gebieten der Ernährung und der Energie alle Macht auf Erden in ihren Händen hielten. Während Simon all diese Gedanken ordnete, hatte sein Vater ihn einfach nur angesehen. Simon hatte das Gefühl, dass nun so etwas wie Stolz in seinen Augen lag.
„Du wirst noch einmal losziehen?“, fragte der Vater und es klang mehr nach einer Feststellung.
Simon nickte.
„Zu Edda.“
Simon lächelte.
„Du wirst mit ihr zusammen den Kampf aufnehmen?“
„Ich dachte, ich könnte all dem entkommen“, sagte Simon. „Aber ...“ Er schüttelte den Kopf. „Wenn ich mir vorstelle, Menschen wie dieser Ono erlangen die totale Macht und mein Sohn oder meine Tochter würde mich eines Tages fragen, was ich dagegen getan habe ... Ich will sie nicht belügen müssen.“
„Ja ...“, sagte sein Vater ernst. Er konnte Simon nicht in die Augen schauen. Tränen rannen über seine Wangen. „Es tut mir leid, wie alles gekommen ist, Simon. So unendlich leid. Ich hoffe, das glaubst du mir.“ Er sah ihn an. Simon umarmte ihn.
Noch in derselben Nacht betrat Simon die Halle des Hauptbahnhofs in Mannheim. In seiner Tasche trug er nur ein paar Klamotten, Proviant und den Laptop seines Vaters mit sich. Simon ging zum Fahrplan und schaute nach den nächsten Zügen Richtung Cuxhaven. Schließlich schrieb er auf eines von Bobos Blanko-Tickets den Zug um fünf Uhr. Mit Stopps in Mainz und Köln ...
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Als würde in Zeitlupe ein unendlich langes, braunes Laken ausgeschüttelt, dachte Simon. Sein Blick ruhte auf den gleichmäßigen Wellen des winterschmutzigen Rheins. Von Mainz an hatte er versucht, noch ein wenig zu schlafen, aber das war ihm nicht gelungen. Dummerweise war er in einen Zug geraten, der auf der gesamten Strecke alle möglichen Jecken einsammelte, um sie nach Köln zu einer Karnevalsveranstaltung zu schaffen. Viele von ihnen waren schon kostümiert; wenn man einen Cowboyhut oder eine rote Nase als Kostüm bezeichnen wollte. Im ganzen Zug gab es kein einziges Abteil, in das Simon sich vor den Attacken der Ausgelassenheit hätte flüchten können. Also hatte er beschlossen zu schlafen. Oder zumindest so zu tun. Damit die penetrante „Krankenschwester“ neben ihm nicht ständig seinen Puls prüfen konnte.
Simon hielt den Blick auf den Fluss gerichtet. Wenn er diese Menschen sah, fragte er sich, ob es wirklich wert war, sich für sie einzusetzen. Sogar sein Leben zu riskieren. War es richtig, ihnen die Augen zu öffnen? Vielleicht waren sie ja viel glücklicher so, wie sie waren. Wollten sie erkennen, dass sie selbst ihr Leben in der Hand hatten, dass sie es selbstbestimmt leben konnten, dass sie nicht jeder Mode und jedem Trend hinterherlaufen mussten, um sich zu spüren ... dass sie dabei waren, alle Freiheit ohne Not an den Staat und die globalen Konzerne abzugeben.
„Erweckt werden sie es erkennen ...“
Auf einmal war dieser Gedanke in Simons Kopf. Er klang so klar und ohne jeden Zweifel, dass Simon ihn gerne annahm. Er wusste, er war auf dem richtigen Weg. Trotz allem.
Es hatte begonnen in dicken Flocken zu schneien.
Der Zug war auf die eiserne Brücke eingebogen, die von Osten her über den Rhein zum Kölner Hauptbahnhof führte, und Simon sah die unzähligen Schlösser, die am Brückengeländer befestigt waren. Treueschwüre so vieler Paare. Wie viele von denen wohl noch immer zusammen waren? Noch immer glücklich? Warum wohl war das Symbol der Liebe für so viele Leute ein Vorhängeschloss? Simon dachte an Edda. Wie würde sie reagieren, wenn er auf einmal in der Tür stand? Würde sie sich freuen?
Der Zug kam mit einem Ruck zum Stehen und die Narren stolperten nach vorn und wieder zurück. Und lachten. Gut, dass sie sich schon mal an das Wanken gewöhnen, dachte Simon. Wirklich lustig wurde es für diese Menschen ja erst, wenn genügend Alkohol alle Furcht und Scham betäubt hatte.
Nach und nach leerte sich der Zug und Simon saß schließlich allein in dem Abteil. Er sah die Menschen draußen in großem Durcheinander davoneilen. Es wirkte wie ein unentwirrbares Chaos. Und doch hatte jeder in diesem Moment ein Ziel.
Auch er.
Edda ...
Als der Zug nach Cuxhaven weiterfuhr, fand Simon sich auf dem Bahnsteig wieder.
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