ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
tut?“, fragte McQueen und fixierte sein Gegenüber. Bernikoff hielt den Blick und nickte offen. McQueen lächelte leicht, griff nach seinem Glas und prostete Bernikoff zu.
„Cheers!“
Die beiden Männer tranken, und es war beiden klar, dass sie Spaß an der Gegenwart des anderen hatten.
„Sie waren auf dem Weg nach London?“, fragte M c Queen. „Spion?“
„Mich interessiert, was man in England über den Weg der Menschheit denkt.“
„Die geht in den Orkus, wenn Sie mich fragen.“ McQueen lachte laut. „Dah i n, wo sie hingehört!“
Bernikoff registrierte die Bitterkeit, die aus seinen Worten klang.
„Wir sind alle komplett verrückt geworden“, sagte McQueen nach einer Weile. „Chee r s! Auf das Ende der Welt!“ Er trank und sah, dass Bernikoff nicht mitgetrunken hatte. „Oho. Sie haben noch Hoffnung. Endsieg?“
„Endsieg der Menschlichkeit wäre s c hön.“
„Sie sind kein Soldat, mein Freund“, sagte McQueen und kramte in den anderen d u rchnässten Papieren, die sie bei Bernikoff gefunden hatten.
„Was hat es damit auf sich?“, fragte der Schotte und hielt Bernikoff einen alten Handzettel hin, der für den Auftritt des Großen Furioso im »Berliner Wintergarten« warb. „Das sind doch Sie.“
Bernikoff nickte und er begann von sich zu erzählen. Es tat gut, all das zu rekapitulieren, was sein Leben b i sher ausgemacht hatte. Denn erst durch die staunenden Reaktionen des immer maltseligeren Schotten erkannte Bernikoff, wie viel Großes ihm doch gelungen war. Er berichtete von Studien über das Wissen der Kulturen, von seinem Ringen um das Gute im Menschen, von der Kraf t der Sonnenräder, von »Abatonia« ... und von Marie.
Das Grau des Morgens drang bereits durch die Bullaugen des Raumes, als Bernikoff mit seiner Erzählung endete. McQueen hatte ihm bis zum Ende aufmerksam zugehört.
„Sie bekommen ein Extrakapitel in meinem Tagebuch“, sagte der Offizier und stand kerzengerade auf. Die halbe Karaffe Talisker war ihm nicht anzumerken.
„Jetzt muss ich mich um meinen Sauhaufen hier kümme r n“, sagte er und schnäuzte sich. „Nicht, dass uns noch ein paar von euch Krauts in ihren Messerschmitts durch die Lappen gehen.“
Er strich seine Uniform glatt und in der Tür drehte er sich noch einmal um.
„Apropos Sauhaufen ... Sie könnten meinen Jungs doch mal vorführen, was der Große Furioso noch so draufhat. Als Dankeschön fürs Lebenretten. So was mit H y pnose oder so. Ein bisschen Show. Als ob es doch noch mal ein ‚danach‘ geben könnte.“
Bernikoff nickte. McQueen lächelte.
„Hat gut getan, m al was anderes zu hören als Kriegsgeschichten“, sagte er und verschwand.
Bernikoff saß da und spürte, wie sich allmählich die Müdigkeit ausbre i tete. McQueen hatte ihm ein spartanisches Lager bereitet, doch Bernikoff wollte nicht schlafen. Er wollte diesen Schwebezustand, den die große Müdigkeit und der Malt in ihm schufen, noch ein wenig auskosten. Wie in Tra n ce fühlte er sich. Prometheus ist dem Felsen entkommen, dachte er und lächelte. Auch wenn McQueen ihm klargemacht hatte, dass er ihn und die Besatzung der » Blauen Auster « nach Deutschland zurückschicken musste, fühlte sich Bernikoff gut. Er hatte das Gefühl, als wäre er nach der Rettung seines Lebens durch den „Feind“ endlich wie d er bereit, neue Gedanken zu denken.
D i e alten Gedanken, die ihn vor Kurzem noch hatten verzweifeln lassen, kamen ihm in den Sinn. „Es hat den Anschein, als wollte die Welt nich t gerettet werden.“ So hatte es Bernikoff zu Beginn seiner Reise nach England in sein Tagebuch notiert. „Längst sind die unzähligen Toten, die der große Krieg gefordert hat, keine Mahnung mehr, sondern Ansporn zu blut i ger Rache, zu gnadenloser Vergeltung. Auge um Auge. Blut für Blut. Es ist nicht die Büch s e der Pandora, die geöffnet wurde; die Menschen selbst haben den Zugang zu ihrem Bösen gefunden. Es ist in uns, im Bündnis mit der Angst als Feind a ller Freiheit. Verwirrt von der eigenen unfassbaren Grausamkeit, sind sie der Verlockung verfallen, in der totalen Vernichtung den Keim einer besseren Welt zu erhoffen. Unvorstellbar ist der Weg zurück. Zerstöre und werde.“
Berniko f f erinnerte sich an seine Unzufriedenheit mit diesen Sätzen, seine Wut, weil er die richtigen, die treffenden Gedanken nicht denken, nicht hatte formulieren können. War es überhaupt möglich, den Schrecken, der die We l t ergriffen hatte, in Worte zu fassen?
Bernikoff
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