ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
Gefahr“, log Victor. Aber was sollte ihm hier in der Hotelbar schon geschehen? Er konnte sich alle Sicherheiten kaufen, die das Leben zu bieten hatte. Warum dann nicht ein wenig Gefahr?
„Ich heiße Victor“, sagte Victor und hielt ihr die Hand hin.
„Sigrid“, sagte die junge Frau. „Fast so wie ‚Geheimnis‘.“
Victor lächelte. Allerdings hatte es eine Weile gedauert, bis er den Wortwitz verstanden hatte.
„Sigrid ... secret ... verstehe.“
Er trank seinen Malt ohne Eis und sah nicht, wie diese Sigrid ihre Augenbraue lüpfte, was ihr für einen Moment einen ironischen Touch gab. Als Victor das Glas wieder absetzte, war alle Ironie aus Sigrids Gesicht verschwunden.
„Und?“, fragte sie. „Was machst du so, Victor? Vertreter?“
„Daneben!“, sagte Victor stolz. Je mehr er vom Talisker trank, desto weniger konnte er sich beherrschen, von der Genialität und Tragweite seiner Arbeit zu erzählen. Bald redete er von einer bahnbrechenden Entdeckung, die ihn reich gemacht hatte. Die die Welt verändern würde. „Jawohl ... die Welt verändern ... die ganze verdammte Welt!“
„Zum Guten, hoffe ich“, sagte Sigrid lächelnd und wartete vergeblich auf die Antwort.
„Muss mal für Königstiger“, sagte Victor und lallte schon ein wenig. „Nicht weglaufen, mein kleines ‚Geheimnis‘“, sagte er noch, bevor er verschwand. Victor hielt sich für charmant und geistreich. Und für unwiderstehlich. Dass Sigrid noch immer an der Bar saß, als er zurückkam, bestätigte ihn in seiner Annahme. Mit etwas Mühe platzierte er sich wieder auf dem Barhocker. Sigrid nahm es mit Humor und war auf einmal ganz fürsorglich.
„Ich glaube, ich bring dich mal besser ins Bett.“
Victor strahlte.
„Aber erst brav austrinken“, verlangte Sigrid.
„Jawohl, Mama!“, antwortete Victor und nahm seinen letzten Schluck. Und mit einem Mal wurde ihm ganz warm ums Herz. Wenn das das neue Leben war, mehr davon. Er wusste jetzt, was er wollte und wie es aussah. Victor trank den Rest seines Drinks, hinterließ ein viel zu hohes Trinkgeld und folgte dann Sigrid, die neben dem Aufzug auf ihn wartete.
In seinem Hotelzimmer angekommen, hockte Victor sich auf sein Bett, schlang seine Arme um Sigrid und legte seinen Kopf an ihren Bauch. Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände, beugte sich vor und hauchte in sein Ohr.
„Ich mach mich nur ganz schnell mal frisch.“
Damit wand sie sich aus seiner Umarmung und verschwand in das Bad. Victor strahlte, legte sich zurück auf das Bett und dachte an seine glückliche Zukunft. Die Welt stand ihm offen. Das Leben. Die Liebe ... Er schloss die Augen. Endlich hatte er es geschafft.
Im Bad rauschte das Wasser der Dusche. Die Frau, die sich Sigrid genannt hatte, hockte auf dem Klositz und wartete. Immer wieder schaute sie auf die Uhr. Nach zehn Minuten lugte sie aus dem Bad und sah Victor auf dem Bett liegen. Er war eingeschlafen. Sofort schickte sie eine SMS und bald darauf klopfte es dreimal an die Tür.
Sudden öffnete und ließ Olsen herein, der sofort Victors Zustand überprüfte.
„Wie viele Tropfen?“, fragte er.
„Zwanzig“, sagte Sudden.
„Okay. Wir haben mindestens anderthalb Stunden“, sagte Olsen und holte eine kleine Digitalkamera aus seiner Tasche. Da hatte Sudden schon begonnen, Victors Unterlagen durchzugehen. Er hatte alles sorgfältig aufgelistet; jeden Schritt, den er gegangen war. Olsen fotografierte die Notizen und Sudden blätterte jeweils weiter. Sie waren ein gutes Team. Ohne viele Worte; mit dem Wissen um die Notwendigkeiten. Olsen war froh, dass sie ihn auf dem Bahnhof in Cuxhaven eingeholt hatte.
„Ich brauche Ihre Hilfe“, hatte sie gesagt, als sie ihm in der Bahnhofskneipe gegenübertrat. „Ich will die Mörder meiner Freunde finden. Die Auftraggeber für den Mord. Die Hintermänner.“ Olsen hatte sie angesehen, hatte ihre Entschlossenheit erkannt und sich dann ein wenig zur Seite gesetzt und damit signalisiert, dass sie willkommen war.
„Ich verstehe, dass Edda und Simon nicht mit dabei sind“, hatte Sudden gesagt. „Nach allem, was sie durchgemacht haben. Aber wir beide ... wir werden das durchziehen. Ja?“
„Ja!“, hatte Olsen gesagt.
Sudden hatte auf Olsens Schädel gedeutet.
„Aber Sie müssen eine Kappe tragen. Sonst machen Sie mir Angst.“
Olsen musste lachen. So offen und so direkt war noch nie jemand mit seiner Deformation umgegangen. Sudden stimmte in sein Lachen ein. Und da saßen sie in der Kneipe am Bahnhof an
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