ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
und verbat es sich gleich wieder. Voran. Weiter voran. „Solange eine Aktion läuft, keinen Gedanken an den Triumph verschwenden. Es macht unaufmerksam.“ Auch das hatte er von Olsen gelernt.
Fahles Grau zeichnete sich plötzlich gegen die Schwärze des Tunnels ab. Der niedrige Betonschlauch machte eine lang gezogene Biegung nach rechts und nach wenigen Metern hatte Linus den Ausgang aus dem Teufelsberg erreicht. Licht drang in den Tunnel. Prall und weiß war der Mond hinter den winterlichen Wolken hervorgetreten.
Auch wenn er es versuchte, Linus konnte seine Freude, den professionellen Söldnern ein Schnippchen geschlagen zu haben, nicht unterdrücken. Noch ein paar Schritte und er war dem Teufelsberg entkommen. Linus stoppte.
Der Ausgang war versperrt.
Ein eisernes Gitter verhinderte, dass er sich nach draußen in Sicherheit bringen konnte. Er rüttelte an den rostigen Eisenstreben. Sie bewegten sich nicht. Linus hielt inne, horchte. Die Verfolger kamen näher. Er versuchte sich zwischen den Eisenstäben hindurchzuzwängen.
Unmöglich.
Er fühlte das Gestein ab, wo die Angeln der Gittertür eingelassen worden waren. Keine Angriffsfläche. Nirgendwo. Da entdeckte er, wie draußen am Seeufer drei Gestalten auf ein Boot zuliefen. Edda und Simon folgten Marie. Linus wollte rufen, aber da waren die Söldner schon hinter ihm und er wollte sie nicht auf die Freunde aufmerksam machen. Er musste seine Mission zu Ende bringen.
Linus war jetzt in exakt der Situation, in die er sich bei seinen Abenteuerspielen als Kind immer geträumt hatte. Der einsame Held, der sich für andere opfert. Der nach seinem Ende gefeiert wird, dem Denkmäler gewidmet werden, dem die Tränen der schönsten Mädchen gelten. So wohl hatte er sich damals in diesen Träumen gefühlt und so selig war er nach den „Kämpfen“ nach Hause zurückgekehrt, um davon zu berichten.
Das hier war kein Spiel mehr. Linus wusste, seine Verfolger waren bewaffnet. Ein paar Sekunden noch, dann würden sie in der Biegung des Tunnels auftauchen. Sein Herzschlag pochte in seinem Hals, in seinem Kopf. Er überlegte nicht lange, bevor er die Pistole aus seiner Tasche zog.
„Nur für den Notfall“, hatten sich Simon und er versprochen. Linus schaute noch einmal zu den Freunden. Noch hatten sie das rettende Boot nicht erreicht. Noch waren sie zu sehen. Die Söldner durften sie nicht entdecken.
Linus schoss.
In das Schwarz des Tunnels.
Ein Feuerstoß antwortete. Leicht und schnell und laut. Dann war es still. Und Linus wurde kalt. Und dennoch trat Schweiß auf seine Stirn. Sein Herz! Linus versuchte, das Schlagen zu spüren. Hielt die Luft an. Aber da war nichts. Gar nichts nahm er wahr. Als hätte die Welt um ihn herum ausgeatmet. Metallen war plötzlich der Geschmack in seinem Mund. Er stellte sich vor, dass die stählerne Kugel, die ihn getroffen hatte, voll und ganz Besitz von ihm genommen hatte. So starr und unbeweglich lag er da.
Sein Hirn aber arbeitete noch. Linus wollte seine Hand zu seinem Hals führen, den Puls spüren. Doch seine Hand befolgte den Befehl nicht. Was war mit ihm los? Sein Hirn konnte so viele Befehle aussenden, wie es wollte. Weder Füße noch Hände reagierten. Panik breitete sich aus. Aber auch diese Panik fand kein Ziel, keinen Ausweg. Wie ein Amok springender Flummi prallte sie immer wieder zurück in sein Bewusstsein.
Er konnte sich nicht bewegen.
War er gelähmt?
Sein Blick glitt durch das Gitter hinaus auf den See. Dort konnte er zuschauen, wie im Mondlicht das Boot mit Edda, Simon und Marie endlich den kleinen Hafen verließ.
„Wartet! Nehmt mich mit!“, wollte Linus rufen. Aber auch das gelang ihm nicht mehr. Nichts war übrig von dem heroischen Gefühl, sich geopfert zu haben. Da war nur noch Fassungslosigkeit. Doch Linus wollte nicht aufgeben. Er wehrte sich gegen die Endgültigkeit, suchte nach einer Erklärung.
Der Schock!
Es war der Schock. Oder war das wirklich sein Ende? So ein beschissenes Ende? Im Dreck eines alten Tunnels; nur Zentimeter getrennt von der rettenden Freiheit. Warum war ihm so kalt? Warum überhaupt war es so still? Und warum war keiner seiner Verfolger näher gekommen? Er schaffte es nicht, den Kopf zurück in den Tunnel zu wenden. Er sah nur das Boot. In wenigen Minuten würde es hinter einer Landzunge verschwinden. Linus spürte die Tränen. Um sie loszuwerden, kniff er die Augen zusammen und konzentrierte sich. Er wollte Kontakt mit Edda und Simon aufnehmen. Wollte sich mit ihnen
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