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ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

Titel: ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jeltsch
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erlöschen. Sie schaute nicht zurück, zu groß war der Abstand, der durch den Streit um Linus zwischen ihnen entstanden war.
    Simon war keine Wahl geblieben, bei der er sein Gesicht hätte wahren können. Mehr als je zuvor fühlte er sich verlassen und spürte, dass Edda nichts von seiner Einsamkeit wissen wollte. Längst hatte die Seekrankheit jede Zelle ihres Körpers und Gehirns erfasst, ihr Gesicht bleich gefärbt und ihr alle Energie genommen. Je länger sie auf See waren und je blasser Edda wurde, desto mehr tat Simon leid, dass er so harsch zu ihr geredet hatte. Er suchte ihre Nähe, doch er spürte, wie sie sich von ihm entfernte. Es gab nur einen einzigen Grund, weshalb er nun doch mit zu der Plattform unterwegs war: um Edda vor Gopal zu beschützen. Was für ein idiotischer Plan, dachte Simon. Dennoch bestimmte er im Moment alles, was er tat.

    Die Fahrt zur Plattform stand unter keinem guten Stern. Schon beim Zu-Wasser-Lassen des Schlauchbootes hatte es Schwierigkeiten gegeben. Und als sie endlich im Boot saßen, stellten sie fest, dass nur drei der vorgeschriebenen sechs Schwimmwesten an Bord waren. Also hatte Simon auf seine verzichtet. Sosehr auch Schifter und Gopal dagegen protestiert hatten, Simon ließ sich nicht beirren. Er wollte hier der Held sein.
    Schifter hatte darauf bestanden, dass Simon sich mit einem Seil an dem Boot befestigte. Simon hatte eingewilligt.
    „Das Boot ist zu leicht!“, schrie Gopal. Über das Tosen des Sturmes hinweg war seine Stimme kaum zu verstehen. „Wir müssen umkehren!“
    Seit vor einer halben Stunde von Norden Schlechtwetter aufgezogen war, hatte die grüne See ihre Farbe in dunkles Grau verwandelt. Alles Licht, das der Himmel ihnen durch die Wolken schickte, verschwand in dem aufgewühlten Wasser wie in einem schwarzen Loch. Das Wetter war stetig rauer und finsterer geworden, und am fernen Horizont sah es aus, als würden Wolken und Gischt zu einem Ende der Welt verschmelzen.
    Wieder gelang es nicht, das Schlauchboot an dem Pfeiler zu verankern. Wieder schoss es mit der Strömung hinaus auf das offene Meer.
    „Noch einen letzten Versuch!“, brüllte Schifter über das Krachen der Brandung. „Diesmal gelingt es!“
    Simon fragte sich, ob der Typ sie noch alle hatte. Auf jeden Fall schien er niemals seine positive Ausstrahlung zu verlieren. Simon zwang sich, tapfer zu wirken und zurückzulächeln. Er wollte sich keine Blöße mehr geben. Nicht vor Gopal und nicht vor Edda. Er sah, wie sie in ihrer Jackentasche nach der kleinen Spieluhr kramte, deren Mechanik aus beweglichen Teilen Simon an die Sonnenräder im Untergrund von Berlin erinnert hatte. Der Gegenstand aus Bernikoffs Besitz schien Edda Kraft zu verleihen. Wie eine Reliquie, dachte er. Er hätte auch gern etwas gehabt, an dem er sich hätte festhalten können. Etwas, das ihn abgelenkt hätte von der Weite des Meeres und von seiner alten panischen Angst vor der Tiefe, die er seit dem Tod seines Bruders immer gemieden hatte. Er spürte, wie der Malstrom und die Angst ihre Finger nach ihm ausstreckten. Es war der Malstrom seiner eigenen Furcht. Deshalb hatte er ohne zu zögern auf die Schwimmweste verzichtet; um sich ihr zu stellen. Und weil er dem Beispiel von Linus folgen wollte. Er spürte, wie sehr Linus mit seiner Selbstlosigkeit Edda imponiert hatte. Wäre es ihr lieber gewesen, wenn er an Linus’ Stelle in Berlin zurückgeblieben wäre? Warum beschäftigte sie sich die ganze Zeit mit diesem Gopal? Sie kannte ihn doch kaum, und doch taten die beiden so, als wären sie unendlich vertraut.
    Was waren das für Fragen?
    Während das Boot wie eine Flaschenpost zwischen den Pfosten auf und nieder tanzte, öffnete sich ein paar Meter über der brausenden See plötzlich eine Luke, aus der ein heller Strahl hinab in das Wasser fiel, wie eine Leiter aus Licht. Das Wasser unter der Luke war etwas ruhiger und für einen Augenblick schaute der Kopf eines jungen Mannes auf das Boot herab. Edda und Simon beobachteten, wie er eine lange Leine mit bunten Schwimmern herabwarf, und sie spürten gleichzeitig große Erleichterung. Gleich würde die Odyssee ein Ende haben.
    Nach mehreren Versuchen gelang es Simon und Gopal schließlich, die Leine zu fassen und das Boot nahe genug an den Pfeiler heranzuziehen, um es an beiden Enden zu vertäuen. Auf ein Zeichen von Schifter erhob Simon sich in dem schwankenden Boot und ergriff das Ende einer Metallstiege, die in das Wasser hinab und zu der Luke hinauf führte. Simon

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