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ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

Titel: ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jeltsch
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spürte die raue Oberfläche der nassen Sprossen unter seinen Händen, als er sich aus dem Boot zog. Er blickte zurück zu Edda, die sich als Nächste auf die Stiege ziehen wollte, als wolle er sich vergewissern, dass es ihr gut ging, dass alles wieder in Ordnung war zwischen ihnen. Doch Edda wich ihm aus und senkte den Blick. Sie ließ sich von Gopal halten, ließ sich von ihm zur Stiege führen.
    Was sollte Simon tun, wenn nicht nur Linus verschwunden war, sondern wenn Edda seine Gefühle nicht mehr erwiderte? Hatte sie sie je erwidert? Weshalb hatte er sie nie gefragt? Weil er feige war. Weil er Angst hatte, dass sie ihn ablehnen könnte.
    Eine gigantische Welle baute sich unter dem Plateau auf und griff nach dem Boot und dann nach Edda, die eben den ersten Schritt auf die Stufe der Stiege gesetzt hatte, während Simon ihr die Hand reichte. Wie eine Tatze aus Wasser schlug die Welle das Boot in die Höhe und zog es dann sofort mit sich in die strudelnde Tiefe, sodass Edda gleichzeitig den Kontakt zu Simon und der Treppe verlor und in die schwarze See stürzte.
    Simon zögerte nicht und sprang ihr nach. Sein Körper versank in dem dunklen Wasser und wurde von einer Welle gegen den Pfeiler geschlagen. Doch bevor er zu sinken begann, bekam er Edda zu fassen. Der Auftrieb ihrer Schwimmweste wollte sie nach oben ziehen. Simon begriff, dass er sie wieder loslassen musste, damit sie gerettet werden konnte. Gemeinsam waren sie zu schwer. Er öffnete seine Hand, gab sie frei und Edda schoss an die Wasseroberfläche. Verzweifelt begann Simon zu schwimmen, während er gleichzeitig versuchte, von den unermüdlichen Wellen nicht an den finsteren Pfeiler geschleudert zu werden. Er bekam schließlich das Seil zu fassen, das Schifter um seinen Körper geschlungen hatte, und zog sich daran nach oben. Den Kopf über Wasser würgte er, rang nach Luft, und nachdem er sich beruhigt hatte, schaute er sich um. Auch Edda hatte es geschafft, die Tiefe hinter sich zu lassen. Immer wieder tauchte ihr Kopf in den Wellentälern auf und verschwand dann doch aus Simons Blickfeld.
    „Edda! Edda!“, schrie er gegen den Sturm und das Peitschen des Wassers an. Er konnte erkennen, wie Edda auf das Schlauchboot zutrieb. Simon sah Gopals Gesicht über dem Rand des Bootes auftauchen. Er sah, wie seine kräftigen Hände nach Edda griffen und sie an Bord zogen. Im selben Moment fuhr eine noch gewaltigere Welle unter das Plateau und sog Simon in die Tiefe der dunklen Wasser. Sofort wurde Simon von Eindrücken geflutet, die ihn seit Davids Tod verfolgt hatten und die in den Archiven seines Körpers gespeichert waren. Waren sie früher ab und an in seinen Träumen aufgetaucht, hatte er sich vor ihnen retten können, indem er sich vorstellte, durch einen langen, engen Tunnel ins Licht und Vergessen zu tauchen. Doch hier unten gab es keinen Tunnel. Keine Rettung. Nun war er tatsächlich in diese Tiefe gestürzt, mit dem Kopf voran nach unten ins Wasser geschossen. Gehalten von einer Strömung, schwer und unbeholfen wie ein verdammter Stein. Ein Stein, der fühlte.
    Salzwasser drängte unerbittlich in Nase und Ohren. In der düsteren Welt aus Blasen, Tiefe und grünlich schwarzem Licht gab es nichts, woran er sich hätte orientieren oder festhalten können. Und die Strömung war stärker als die Menschen im Boot, und ganz sicher stärker als Simon.
    Undertow. Undertow.
    Woher kam dieses Wort? Es fraß sich in Simons Bewusstsein, hatte eine dunkle Farbe, leuchtete als Buchstaben auf.
    Für einen Moment öffnete Simon die Augen und sah, wie sich aus der Tiefe etwas auf ihn zu bewegte. Etwas, das aussah wie ein durchsichtiger Krake, der in den Blasen und Algen hauste und seine langen sprudelnden Arme nach ihm streckte. Unendlich groß schien er und mächtig, als wurzelten seine Tentakel auf dem Grund des Meeres. Simon schien, als würde es dort unten heller und freundlicher, fast wie eine grüne Wiese. Plötzlich erkannte Simon darin die Wiese, auf der er mit David gespielt hatte, als sie beide Kinder waren. Als ihre Eltern noch nicht getrennt gewesen waren. Als die Welt gewesen war, wie sie immer hätte sein sollen – glücklich, unbeschwert, vollständig. Und ohne Gedanken an Morgen oder Gestern oder die Kälte, die jetzt aus dem Wasser in seine Knochen kroch und ihm blitzartig sagte, dass nicht die Zeit zum Träumen war, dass er nicht schlief und irgendwann wieder erwachen würde.
    Doch Simon erwachte nicht. Im Gegenteil. Er spürte, wie ihn eine tiefe Ruhe

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