ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
Zweifel oder sie glaubte endlich daran, was sie in den letzten Monaten mit eigenen Augen gesehen und am eigenen Leib erfahren hatte. Dass alles möglich war, dass Simon es aus eigener Kraft schaffen konnte, dass Linus lebte, obwohl alles in ihr das Gegenteil sagte. Aber was, wenn Simon jetzt auch noch etwas passierte?
„Ein Huhn ohne Kopf kann nicht gackern“, sagte sie leise und schloss erschöpft die Augen. Dann lehnte sie sich mit dem Rücken an das kalte, rostige Metall, aus dem die gesamte Plattform zusammengeschweißt war. Sie wollte Simon Kraft senden, atmete tief ein und aus, schloss die Augen und dann – in ihrer Angst um ihn – erreichte sie Simon, sah vor ihren Augen, wie er sich auf das Wesen aus Wasser zubewegte, wie er zufrieden war, ja glücklich schien, als er von den Armen des Kraken umschlossen wurde.
Mit einem Mal fühlte Edda sich leicht und frei. Sie wusste, es war falsch, und dennoch war sie in diesem Moment frei von Verantwortung, frei von Freundschaft, frei davon, eine Freundin zu sein, eine Kritische Masse, eine Tochter oder eine Enkelin oder eine Freundin für Simon oder Linus oder sonst wen. Für einen kurzen Augenblick hätte sie jubeln können und gleichzeitig weinen und schreien! Ihre Angst um Simon war verschwunden, er war bei ihr und sagte, dass er bald heimkehren würde.
Nach Hause.
Als Edda die Augen wieder öffnete, merkte sie, dass der Junge ihr inzwischen eine Decke um die Schultern gelegt hatte. Er lächelte sie zum ersten Mal an und hielt ihr die Hand hin.
„Edda? Ich bin Adriano.“
Sie wischte sich die nassen Haare aus dem Gesicht und versuchte ein Lächeln, als Gopal ebenfalls die Stiege heraufkam. Außer Atem, nass und aufgeregt.
„Wir werden versuchen, ihn mit einem Rettungstorpedo von der Plattform aus zu erreichen“, rief Gopal Adriano zu. In der Hand hatte er ein Walkie-Talkie. „Los! Und bring Edda rauf und gib ihr neue Kleider!“
Eilig stiegen sie weiter nach oben. Edda fiel es schwer. Sie spürte, wie unterkühlt ihr Körper war. Doch sie wusste, dass sie die Temperatur ihres Körpers durch Gedanken kontrollieren konnte, und allein bei dem Gedanken daran, diese Kraft zur Verfügung zu haben, wich ein Teil der Kälte. Edda fühlte sich wieder stärker. Sie hielt Gopal kurz auf, als sie das erste Deck erreicht hatten. Sie wollte helfen, Simon aus dem Wasser zu holen.
„Solange wir nicht aufgeben, hat er eine Chance“, sagte Gopal. „Wir bereiten jetzt den Torpedo vor. Schifter versucht immer noch, ihn vom Boot aus zu erreichen, aber er treibt immer wieder ab. Und bei dem Wetter können wir kein weiteres Boot aussetzen.“
„Eben ... da unten ... ich hab da eine Nachricht von Simon empfangen“, sagte Edda laut und versuchte, ihre Stimme fest und zuversichtlich klingen zu lassen. Die Männer wandten sich ihr zu. „Ich weiß nicht ... aber es schien, dass er aufgeben will. Wir müssen uns beeilen!“ Edda sah den skeptischen Ausdruck auf den Gesichtern der Männer, die zusammengekommen waren, um den Torpedo starklar zu machen. Hätte sie ihnen sagen sollen, dass sie eigentlich empfangen hatte, dass es Simon gut geht? Das konnte sie nicht. Zu schlecht fühlte sie sich, weil sie sich deshalb so frei gefühlt hatte. Edda war jetzt gar nicht mehr sicher, ob die Nachricht, die sie von Simon empfangen hatte, Einbildung gewesen war. Was, wenn die Kritische Masse zerstört war? Ihre Fähigkeiten, ihre Verbindung? Dann war die Nachricht von Simon nichts wert – im Gegenteil.
Gopal starrte sie mit seinen klaren Augen an. Wusste sie wirklich, was mit Simon war? Oder machte sie sich etwas vor? Edda hielt seinen Blick nicht aus, wandte sich zum Meer.
„Da ist er!“, schrie Edda gegen den Wind an. „Da!“ Für einen Moment hatte sie tatsächlich Simons Körper erkannt, der zwischen zwei Wellen auftauchte und immer weiter auf die offene See hinaustrieb.
Sie drehte sich um und rannte zurück zu der Treppe, die sie hinaufgekommen waren.
„Bleib hier!“, schrie Gopal.
Doch Edda hetzte weiter, die feuchten Stufen der Stiege hinab. Bis sie vor der Luke stand, aus der Adriano das Seil geworfen hatte. Zu ihren Füßen brüllte das Wasser. Schrie. Warnte. Edda beugte sich weiter hinab. Hier irgendwo musste Simon doch sein. Gischt schoss auf, griff nach Edda. Da wurde es ihr schwarz vor Augen. Sie stürzte nach vorn. Unter sich das Metall, das Wasser – und Simon.
Tiefer und tiefer war der Krake aus Licht und Blasen mit Simon getaucht; auf den Grund des
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