ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
Meeres. Endlich war beschlossen, worauf Simons ganzes Leben hinausgelaufen war, seit er seinen kleinen Bruder verloren hatte. Endlich stand fest, dass er bei David bleiben würde. Längst hatte er aufgehört, Arme und Beine zu bewegen, und sank in die Tiefe wie in einen Schoß. Was immer wollte, dass Simon dort unten blieb, es war gewachsen in der kühlen Tiefe der wilden Dunkelheit, in der sein Körper nicht mehr atmen musste.
Keine Luft mehr brauchte.
Kein Essen.
Keine Sorgen.
An einem Ort, an dem er bleiben konnte, als Seele und als Geist. Mit seinem Bruder. Das Wasser hatte David gerufen, weil Simon sich geweigert hatte zu kommen. Und David war für ihn gegangen. Jetzt war Simon hier, um wiedergutzumachen. Alles wieder gut.
Simons Körper spürte, wie eine Welle ihn mit einem Mal nach oben trug; in Richtung der massiven Eisenpfosten. Gegen seinen Willen. Doch die Welle zwang ihn an die Oberfläche und er sog Luft ein. Wasser lief aus seiner Nase, seinem Mund. Es brannte vor Salz und Kälte. Doch diese Welt über Wasser, die war ihm jetzt fremd. Sie schmerzte.
Er gehörte nach unten.
Zu David.
Aus weiter Ferne hörte er plötzlich eine Stimme, die ihm bekannt war. Wie ein elektrischer Schlag fuhr es in seinen Körper, in seine Nervenbahnen, von denen jede einzelne zu schmerzen schien. Mit einem Mal sah Simon das Gesicht seines Vaters vor sich, wie er in dem Gefängniswagen davonfuhr. Er sah sein Kopfschütteln. Und er sah Linus im Tunnel, der aus dem Teufelsberg zum See führte. Und Edda, die ihm in die Augen geschaut hatte, bevor sie ins Wasser gestürzt war. Verflucht! Simon spürte, wie ihm Tränen in die Augen schossen, wie sein gepresster Brustkorb versuchte, sich zu dehnen. Sich nicht mehr dehnen ließ.
Er wollte zurück.
Was hier unten zwischen Tod und Leben auf ihn wartete in einem nassen Fegefeuer, war nicht das Ende. Es war die ewige Hölle; aus Schuld und Selbstvorwürfen. Ein Ort, an den ihn sein ewiges Zweifeln und Grübeln geführt hatten. Seine Unsicherheit, sein Wunsch, es anderen recht zu machen, um geliebt zu werden. Deshalb hatte er auf die Rettungsweste verzichtet! Und als er Edda in die Augen blickte, da hatte er erkannt, dass sie ihn nicht liebte. Und mehr noch hatte er erkannt, dass es genau das war, was ihm wirklich wichtig gewesen wäre. Dass es der Wunsch nach Eddas Zuneigung, Respekt ... dass es der Wunsch nach ihrer Liebe gewesen war, der ihn all die gemeinsamen Abenteuer hatte durchstehen lassen. Der Blick in Eddas Augen machte Simon klar, wie unnütz all seine Tapferkeit gewesen war. Wie wenig sie das mit seiner Liebe zu ihr zusammenbrachte. Und er wusste, dass sie in diesem Moment genau das erkannte. So war er abgetaucht. An einen Ort, an dem er niemals Ruhe finden würde – und an dem es keinen David gab, keine Edda, keinen Vater. Nur die ewigen Gedanken an sie und die Reue, nicht gehandelt zu haben, sondern gestorben zu sein. Dieser Krake war nicht der Tod! Der Tod war ein Freund gegen dieses Wesen. Der Krake war allein Simons Schöpfung aus Zweifeln und seinem Selbsthass. Der wuchs und stärker wurde. Der nicht wollte, dass Simon lebte – und auch nicht, dass er starb! Wie ein hungriger Geist sollte Simon dort unten auf dem Meeresgrund vegetieren, unter einer alten verkrusteten Plattform in der Nordsee; die wirkliche Hölle hatte für Simon schon immer unter Wasser gelegen.
Er wusste, dass er einmal die Kraft gehabt hatte, die Hölle zu ignorieren, statt sie mit seiner Energie und Lebenskraft zu füttern. Aber er wusste nicht mehr, ob seine Kraft dieses Mal noch reichen würde, um zurückzukehren. Zu Edda, seinem Vater, seiner Mutter, die er wiedersehen wollte. Und zu sich. Um herauszufinden, was das Schicksal nach dem Ende seiner Angst von ihm wollte.
Nein, er würde nicht hier unten bleiben! Nicht aus Solidarität und auch nicht aus Liebe zu seinem toten Bruder! Nicht David war es, der einsam war. Er war es. Er selber. Es war ein dunkles, böses Etwas in ihm; etwas, das nach neuem Licht gierte, um es sich einzuverleiben und zu absorbieren – Licht, das Simon sich mühsam in den letzten Monaten verdient hatte, das ihn einen Finger gekostet hatte und vielleicht das Leben von Linus. Seines Freundes.
Es durfte nicht hier unten zugrunde gehen!
Simon spürte, wie sein Kopf pochte, sein Blut fast zu kochen schien, die Augen aufgerissen, vom salzigen Wasser geblendet. Mit letzter Kraft streckte und beugte er seine von der Kälte fast steifen Glieder und begann zu
Weitere Kostenlose Bücher