ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
sich ein Netz aus pulsierender Hitze über seinen Kopf. Linus konnte noch nicht einschätzen, ob es unangenehm war, doch es irritierte ihn. Plötzlich schien die Hitze sogar in seinen Kopf einzudringen. Linus gingen die Gedanken verloren. Er spürte nur noch, wie die steigende Temperatur Besitz von seinem Denken nahm.
„Aufhören! Bitte!“, signalisierte Linus. „Aufhören!“
Das Signal kam nicht an. Olsen und Bixby schauten nur auf den Monitor und warteten darauf, dass sich irgendeine Reaktion abzeichnete. Aber da gab es nichts zu sehen. Wie bei einem alten Röhrenfernseher war da nur graues Rauschen.
„Wir müssen den Reiz verstärken“, sagte Bixby. Er klickte eine der Anzeigen an und erhöhte die Intensität der Frequenz.
„Nicht!“, protestierte Linus vergebens. Er hatte jetzt das Gefühl, sein Kopf würde gekocht. Auf einmal tauchten aus dem blubbernden Hirn von überall her Bilder und Gedanken auf. Doch kaum waren sie da, aneinander aufgereiht wie auf einem Faden, da platzten sie; explodierten wie eine Tüte mit Knallkörpern zu Sylvester. Linus drohte der Kopf zu bersten. Die Bilder, die Gedanken stammten allesamt aus seinem Leben. Momentaufnahmen. Seine Eltern, seine Großeltern, Olsen, Judith. Die Flanders ... Seine Ängste. Seine Ahnungen von Glück. Und dann waren da auf einmal Edda und Simon.
Linus vergaß das heiße Hirn. Er wollte die Bilder der beiden festhalten. Wollte Edda und Simon erreichen. Wollte sich mit ihnen verbinden. Er fokussierte sich so gut es ging, und es gelang ihm, dass die Bilder der Freunde nicht zerplatzten wie die Seifenblasen seiner Erinnerung vorher. Linus nahm Edda und Simon wahr. Unklar, verschwommen. Als wären sie alle unter Wasser. Doch er spürte auch Distanz. Nicht zwischen ihm und Edda oder Simon. Nein, die Distanz bestand zwischen seinen Freunden.
„Da!“ Bixby konnte kaum fassen, dass sich aus dem Rauschen des Bildes etwas formte. Es dauerte, dann konnten er und Olsen deutlich menschliche Konturen erkennen. In seiner Euphorie erhöhte Bixby noch einmal die Intensität. Die Umrisse der Körper wurden schärfer.
„Okay! Ab jetzt speicher ich alles ab“, sagte Bixby und gab den entsprechenden Befehl in den Rechner ein. Dann griff er zu seinem Handy und wählte eine Nummer. Kurz nur wartete er.
„Schifter? Ich bin’s“, sagte Bixby aufgeregt. „Es funktioniert. Wir empfangen die Signale direkt aus seinem Gehirn. Es sind zwei Personen. Möglicherweise Edda und Simon!“ Er wartete Schifters Antwort ab. „Ja“, sagte er. „Vielleicht erschaffen wir die Kritische Masse doch noch einmal.“
„Was haben Sie vor?“, unterbrach Olsen das Telefonat. „Wir wollten mit Linus kommunizieren. Wollten wissen, wie es ihm wirklich geht. Was wir für ihn tun können.“
„Ja, natürlich. Aber das da...“, Bixby legte auf und deutete auf den Bildschirm, wo sich die beiden Körper immer genauer abzeichneten. „Das kann die Welt verändern. Zum Guten. Und dazu brauchen wir Linus. Es sieht so aus, als nehme er Kontakt zu Edda und Simon auf.“ Noch einmal erhöhte er die Intensität.
Olsen schaute zu Linus. Er spürte, dass es ihm nicht gut ging, trat an sein Bett.
„Bleibt! Bleibt, bitte, bleibt doch!“ Linus flehte um die Freunde. Doch in dem Moment, als Bixby die Intensität noch einmal erhöht hatte, verschwanden auch Edda und Simon. Wie in einem gigantischen Strudel wirbelten nun alle Bilder seines Lebens durcheinander und wurden eingesaugt in ein endlos tiefes schwarzes Loch. Linus fiel. Unaufhaltsam. Der Strudel schien ihn mitzuverschlingen. Er riss die Augen auf.
„Stoppen Sie das!“, befahl Olsen sofort. „Stopp!“ Er hatte die Panik in Linus’ Blick erkannt. Als Bixby nicht gleich reagierte, stieß ihn Olsen beiseite und regelte die Intensität eigenhändig herunter.
„Sind Sie wahnsinnig?“, fuhr er Bixby an. „Sie sind zu weit gegangen.“ Scharf fixierte er sein Gegenüber. „Wissen Sie wirklich, was Sie da tun?“
„Es funktioniert“, sagte Bixby nur und wollte sich wieder um den Computer kümmern.
„Und wenn es den Jungen umbringt?“
Bixby sah Olsen an, kratzte sich verlegen am Kopf.
„Wie kann es die Welt zum Guten verändern, wenn am Anfang der Tod eines Unschuldigen steht?“ Olsens Stimme klang bitter und resigniert.
Er hatte Bixby so fest im Blick, dass der es nicht ertrug. Er begann zu nicken. „Ja. Sie haben recht. Ich ... Tut mir leid. Ja. Ich war so fasziniert ... Es tut mir leid.“ Er schaute ins Leere,
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