ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
stetig über sie schob. Ein Geflecht aus Leben und Tod, ein Netz aus tausend Augen, aus Köpfen, die zappelten, und Schwänzen, die um sich schlugen und das Wasser mit einem Mal explodieren ließen. Als sie es erkannten, war es bereits zu spät. Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr es Simon. Es gab den gottverfluchten Kraken doch! Jetzt hatte er ihn und Gopal gefunden! Hatte Simon sich die ganze Zeit in falscher Sicherheit gewiegt?
„Gopal!“, schrie er, doch der wurde bereits zu Boden gerissen und in den Schlamm gedrückt. Erst jetzt sah Simon, dass es kein Krake war, sondern ein riesiges von Menschenhand gefertigtes Geflecht, in dem sich Tausende teils noch zappelnde Kreaturen und Unrat gefangen hatten – ein kilometerlanges Fangnetz, das herrenlos durch das Meer trieb.
„Was ist?“, wollte Schifter vom Schlauchboot aus wissen.
„Ein Netz! Ein riesiges Netz. Es zieht Gopal mit sich!“
Simon sah, wie Gopal kämpfte. Er hatte sich in den Maschen verfangen.
„Leg dich hin!“, rief Simon, doch Gopal wurde bereits mit den Fischen und dem Müll davongezogen, weg von Simon und dem Boot, in dem Schifter auf die beiden wartete. Dann riss die Verbindung zu Gopal ab. Hilflos trieb er in dem Netz, hing fest wie Kapitän Ahab an Moby Dick.
Simon versuchte, sich ihm schwimmend zu nähern. Er wusste nicht, ob das Netz seine Sauerstoffzufuhr gekappt oder sich an den Schläuchen verhakt hatte, die ihn mit Luft versorgten.
„Was ist los da unten?“ Schifter klang beunruhigt.
Simon beschrieb es ihm so gut er konnte.
„Ein Treibnetz“, sagte Schifter. „Braucht ihr Hilfe?“
Simon wusste genauso gut wie Schifter, dass ihm hier unten niemand mehr helfen konnte. Simon musste sich auf seine Intuition verlassen, darauf, dass er das Richtige tun würde. Er bewegte sich auf Gopal zu und tatsächlich gelang es ihm dabei, einen Teil des Netzes zu fassen zu kriegen und an dem alten Flugzeugwrack zu befestigen. Die Strömung zog das Netz und Gopal noch ein Stückchen weiter, dann blieb es hängen. Das Flugzeugwrack schien zu schwer für die Strömung. Im Schein der Lampe erkannte Simon ein Tauchermesser an Gopals Anzug und erinnerte sich, dass er selbst so ein Messer trug. Er hängte die Lampe in das Netz, holte das Messer heraus, dann ging er daran, die Stricke zu zerschneiden.
„Nur mit der Ruhe“, hörte er eine Stimme. „Du kriegst das hin.“
Simon schaute zu Gopal, der mit einer Geste bestätigte, dass er die Kommunikation aufgenommen hatte. Über Funk. Und nicht über die Gedanken, wie Simon einen Moment lang geglaubt hatte.
Gopal winkte leicht. Dann fuhr Simon damit fort, ihn zu befreien, doch es war anstrengender, als er gedacht hatte. Die Stricke waren aus Kunststoff, und Simon benötigte mehrere Anläufe, um einen von ihnen zu durchschneiden. Er verbrauchte mehr Sauerstoff als geplant.
Ein Ruck!
Simon bemerkte, dass das riesige Netz das Flugzeugwrack bewegte. Scheinbar hatte die Strömung sich verstärkt und begann das Flugzeug über den Meeresgrund zu schleifen.
„Bleib ruhig. Du schaffst das.“
Die Zuversicht stärkte Simon und gab ihm das Gefühl, eine völlig normale Aufgabe zu erledigen. Die Strömung zog weiter beständig an dem Wrack. Was, wenn es die alte Bombe berührte, die wie eine bösartige Zeitmaschine seit siebzig Jahren darauf wartete, das zu tun, wozu sie erschaffen war? Simon verschwendete keinen weiteren Gedanken daran. Er hätte nur fliehen und Gopal dort unten in dem Netz zurücklassen können, doch das wäre niemals infrage gekommen. Noch nie hatte Simon sich ruhiger und mehr in seinem Element gefühlt als jetzt. Konzentriert und präzise arbeitete er sich mit dem Messer zu Gopal vor. Schließlich hatte er ihn erreicht und für einen Moment hingen sie in dem Netz wie ein fetter Fang. Simon spürte jetzt die unglaubliche Kraft der Strömung. Dennoch wurde er nicht nervös. Er untersuchte kurz, wie sich Gopal verheddert hatte, und schnitt dann gezielt die entscheidenden Schnüre durch, als filetiere er einen Fisch. Schließlich hatte er den letzten Schnitt getan und mit einem erlösenden Ächzen brach fast im selben Moment das Flugzeugwrack auseinander und das Netz zog mit seiner Beute davon.
Als sie die Wasseroberfläche erreicht hatten, sahen Simon und Gopal, dass Schifter mit seinem Boot fast einen halben Kilometer weit entfernt auf dem Meer dümpelte.
Er entdeckte sie, warf den Motor an und langsam nahm das Boot Kurs auf die beiden Taucher. Als es bei ihnen war, zog
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