ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
werden verdunsten und wieder zu Schnee und wieder schmelzen ... immer wieder, dachte Linus. In Ewigkeit. Amen. Gerne hätte er jetzt gelacht.
„Auf nach Köln!“, sagte Olsen und ließ den Motor an. Er hatte Linus versprochen, dass er ihn in seine Heimatstadt bringen würde. Insgeheim hoffte er, dass Linus sich dort das mit dem Sterben anders überlegen würde. Und außerdem war es bis dorthin schon mehr als der halbe Weg nach Amsterdam.
„Du denkst immer noch, ich meine es nicht ernst?“
Olsen musste erkennen, dass die Verbindung, die er zu Linus hatte, nicht abgebrochen war.
„Nein“, gab Olsen zurück. „Ich hoffe einfach nur, dass du mir erhalten bleibst.“ Er bog auf die Seestraße ein, folgte ihr und steuerte über den Stadtring Richtung Avus.
Linus tat es gut, was Olsen gesagt hatte. „Ich hoffe, dass du mir erhalten bleibst.“ Das würde er doch. Seltsam. Warum schien nur er zu wissen, dass er allen erhalten bleiben würde, die ihn mochten. Lebendig? Tot? Es machte keinen Unterschied. Wie der Schnee im ewigen Kreislauf zu Wasser wird und wieder verdunstet. Genauso wenig, wie Wasser vergeht, vergehe auch ich, dachte Linus.
„Ist es richtig, dass Söldner lernen, wie man seine Zunge verschluckt?“, fragte Linus weiter stumm. Olsen sah zu ihm herüber. „Ich hab das mal gelesen“, fuhr Linus fort. „Ein Freund hat es mir bestätigt. Tarik. Er hat mir Autofahren beigebracht.“
„Ja“, war Olsens knappe Antwort. „Für den absoluten Notfall haben wir das gelernt.“ Er hatte sich entschlossen, Linus gegenüber offen und ehrlich zu sein. Und wurde dann misstrauisch. „Du kannst neben den Augenlidern auch die Zunge bewegen, richtig?“
„Wie funktioniert das? Das Verschlucken“, wollte Linus wissen. „Bitte. Ihr habt es für den absoluten Notfall gelernt, und ich bin doch wohl der absolute Notfall.“
Olsen musste lachen. „Du bist verrückt, Linus.“
Sie kommunizierten nicht weiter. Die Scheibenwischer schoben in trägen Bewegungen den immer neuen Schnee von der Windschutzscheibe und die Kegel der Scheinwerfer strichen tapfer durch die Winternacht. Olsen und Linus waren fast allein auf der Autobahn. Nur ganz weit hinter ihnen tauchten die Lichter des nächsten Wagens auf.
Olsen konnte nicht verhindern, dass seine Gedanken abschweiften. Hin zu den Jahren im Ausbildungslager. Zu den ersten Einsätzen in Äthiopien. Zu dem Moment, als ihnen erklärt wurde, dass es nur einen Ausweg gab, sollten sie in Gefangenschaft der kommunistischen Putschisten geraten. Suizid.
„Du hast es in Äthiopien gelernt?“, fragte Linus.
Olsen nickte, was Linus nicht sehen konnte.
„Es funktioniert über die Atmung“, gab Olsen schließlich zu. Und dann beschrieb er, wie man ihm das mit dem Zungeverschlucken beigebracht hatte.
„Interessant“, antwortete Linus. Und er begann mit seiner Zunge im Mund zu spielen. Dann hielt er inne. „Ich würde gerne Musik hören.“
Olsen beugte sich vor, um an die Knöpfe des Radios zu greifen, da kam der Schlag.
Unerwartet.
Hart.
Der Wagen von Olsen und Linus schleuderte. Drehte sich auf der schneeigen Autobahn mehrmals um die eigene Achse. Olsen war sofort in seinem Modus der Verteidigung. Er begriff, dass der Van, der hinter ihnen aufgetaucht war, sie gerammt haben musste.
Sie waren da.
Olsen fing den schleudernden Wagen ab. Brachte ihn wieder in die Spur und gab Gas.
„Wir haben Bixby und den Jungen“, gab Greg über sein Handy an seine Leute durch, die die Kameras der Verkehrsüberwachung gehackt hatten. Als Bixbys Wagen auf die Avus fuhr, hatten sie ihn zum zweiten Mal in dieser Nacht ausfindig gemacht. Kurz nachdem bei Ferch die A9 nach Süden abbog, hatte Greg den Wagen nun eingeholt.
Greg schaltete herunter, um schneller folgen zu können. Er war überzeugt, dass Bixby den Wagen vor ihm steuerte. Der kleine Rumms hatte dem Alten klarmachen sollen, dass es ernst wurde. Ganz ruhig trieb Greg ihn vor sich her. Sollte dieser Kerl mal zeigen, was er noch so draufhatte. Greg hatte seine Leute bei sich und nichts konnte noch verhindern, dass er seinen Auftrag erfüllte und diesen Jungen erledigte; vor allem aber konnte er mit Bixby den Mörder seiner Kameraden liquidieren.
Olsen überließ alles Handeln seinem Instinkt. Als sie die Ausfahrt Glindow erreichten, ließ er die Verfolger näher kommen. Dann riss er das Steuer im letzten Moment herum und schoss in die Ausfahrt. Schlingernd fuhr er davon. Greg war überrascht. Er bremste. Setzte
Weitere Kostenlose Bücher