ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
Sensoren abzunehmen, um ihn nicht aufzuwecken. Er hatte versucht, sich in die Lage von Linus zu versetzen. Anfangs fand er keinen Zugang. Immer wieder landete er in seiner eigenen Jugend, als er so alt wie Linus war. Sein letztes Jahr im Ausbildungslager des amerikanischen Geheimdienstes. Als er zum ersten Mal tötete ...
Olsen wollte diese Bilder vertreiben und schließlich schienen sie wie Nebel bei aufgehender Sonne tatsächlich aus seinem Kopf zu verschwinden. Doch auf einmal fand er sich in seiner Erinnerung wieder, eng gefesselt in eine Folie. Von Gewichten gezogen trieb er hilflos hinab auf den Grund des Edersees. Er hatte keine Angst. Keine Angst um sein Leben. Seinen Tod vor Augen, war alles um ihn und in ihm Klarheit. War alles Einverständnis. Sein Leben konnte zu keinem anderen Ende führen. Olsen akzeptierte es, nahm sein Sterben an, wie es war. Und so erfüllte ihn Heiterkeit. Er hörte sich lachen. Es war das Lachen eines Kindes und das Kind war er. Olsen. Auf einmal begann sich alles zu drehen. Geblendet von der Sonne, schaute Olsen in das Lachen einer Frau. An ausgestreckten Armen hielt sie ihn und schleuderte ihn im Kreis. Immer wieder. Immer wieder. Seine Mutter ... Olsen ließ sich fallen, ergab sich ganz diesem Moment. Nie wieder wollte er diese Hände loslassen. Nie wieder ...
Ein Geräusch weckte Olsen. Der Bildschirm war angesprungen. Der Schlafmodus war durch irgendetwas aufgehoben worden und nun strahlte der Monitor als einzige Lichtquelle in den nächtlichen Raum. Olsen schaute auf. Er konnte nur das graue Grisseln erkennen. Aber nein, drehte sich da nicht doch etwas im Kreis? Waren in all den Mustern nicht zwei Menschen zu sehen? Waren es nicht eine Mutter und ein Kind ...? Olsen war wie elektrisiert.
„Du hast es also auch erlebt“, vernahm er plötzlich. Er schaute sich um, doch niemand außer Linus war im Zimmer, und Linus schien immer noch zu schlafen.
„Das Glück, wenn man stirbt ... du hast es erfahren“, war der nächste Satz in Olsens Kopf.
„Wer ist da?“, fragte Olsen leise.
„Ich. Linus.“
„Du schläfst“, flüsterte Olsen, nachdem er sich davon überzeugt hatte.
„Bist du sicher?“
Olsen wich einen Schritt zurück und starrte Linus an.
Nein, ich bin nicht sicher, dachte er dann. Er konnte spüren, wie sich beim Atmen plötzlich sein Brustkorb weitete. Wie er sich in eine gerade Haltung gezogen fühlte, als würde ihn jemand am Kopf nach oben ziehen.
„Ich kenne das“, sandte er schließlich als Gedanken aus. „Reden nur über Gedanken ... Ich hab das mal gelernt. Vor sehr langer Zeit.“
„Als du ein Krieger wurdest?“
„Ja. Aber ich war niemals wirklich gut darin.“ Olsen dachte an diese Zeit und schüttelte den Kopf. „Wir haben es für die falschen Dinge eingesetzt.“ Er sah zu Linus. „Wie geht es dir?“
Es dauerte, bis Olsen die Antwort empfangen konnte. Doch es war keine Antwort auf seine Frage.
„Kann ich dich um etwas bitten?“, fragte Linus.
„Ja. Natürlich. Gerne“, war Olsens Antwort.
„Hilf mir zu sterben.“
Olsen saß getroffen da.
Linus musste nicht die Augen öffnen, um zu erkennen, dass seine Direktheit selbst Olsen überforderte. Er versuchte zu erklären.
„Du hast die Klarheit erlebt. Die Leichtigkeit. Dass alles von dir abfällt im Sterben. Dass man sich eins fühlt. Versöhnt. Mit allem auf dieser Welt. Mit dem Universum sogar. Frei. Auf ewig im Bann der Freiheit ... Ich weiß, dass du es auch empfunden hast.“
Linus wartete auf eine Antwort. Sie kam nicht, und er begriff, dass sich mit seiner Bitte auf einmal das Verhältnis der Kräfte zwischen ihm und Olsen gedreht hatte.
„Ich hab es mir gut überlegt“, legte Linus nach. „Es ist richtig. Mein Weg ist zu Ende. Aber ich brauche deine Hilfe.“
Die Stimme, die in Olsens Kopf nachklang, war klar und heiter. Er wollte sich dagegen wehren, dass sie ihn erreichte. Er wollte doch Leben retten. Ein einziges Mal in seinem Leben wollte er nicht nur zerstören.
„Das tust du nicht“, kamen die tröstenden Worte von Linus.
„Du liest meine Gedanken?“, fragte Olsen zurück.
„Wir sind verbunden. Keine Ahnung warum, keine Ahnung wie ... aber es funktioniert. Wie mit Edda und Simon. Vielleicht ist es die Haube ... vielleicht weil Bixby mein Hirn gekocht hat.“ Er verstummte kurz. „Ist, als hätten wir gegenseitig Zugang zu unseren Festplatten.“
Olsen traute sich jetzt, ohne Scheu diesen seltsamen Dialog zuzulassen. Und plötzlich war es, als
Weitere Kostenlose Bücher