Abaton
Plötzlich wandte er sich wieder an Simon.
„Sag mal, du hast nicht zufällig ’n bisschen Dope auf Tasche, wie?“, erkundigte er sich, als seien sie bereits alte Freunde. Vertrauensvoll rutschte Bobo ein wenig näher an Simon heran.
Simon schüttelte den Kopf. „Ich hasse Drogen!“, sagte er. Da fiel ihm ein, dass er die beiden Päckchen aus Mumbalas Vorrat bei sich hatte, und wurde unsicher. Bobo spürte das. Und Simon spürte, dass Bobo es spürte.
Simon sagte jedoch nichts. Er wusste ja nicht einmal, was genau in den beiden Päckchen war. Und dass er Drogen hasste, stimmte jedenfalls.
Bobo entspannte sich und lächelte Simon zu. Er war beruhigt, denn er erspürte genau, was in anderen Menschen vorging und seine Einschätzung von Menschen beruhte oft einzig auf der Frage, ob und wie ihm jemand nutzen konnte. Was Bobo trotz dieser großen Sensibilität nicht spürte, war, was in ihm selbst vorging.
Das machte ihn gefährlich.
Und das war es, was Simon merkte und als unangenehm empfand. Ein verworrenes Geheimnis, das Bobos großes Herz dunkel gefärbt hatte und das niemand hätte lüften können – außer Bobo selbst. Ohne es zu ahnen, hatte Simon eben einen wichtigen Bobo-Test bestanden. Er hatte Bobo nicht belogen und Bobo hatte ihn in den ersten Kreis seines großen, dunklen Herzens aufgenommen.
Simon hatte das Gefühl, dass sich etwas zwischen ihnen veränderte, und Bobo nickte zustimmend, so als hätte er Simons Gedanken gelesen.
„Wenn wir raushaben, wo dein Alter in Berlin ist, kenn ich Leute, die dich zu ihm bringen können“, sagte Bobo. „Ich nehm jedenfalls den nächsten Zug nach Berlin.“
[ 1241 ]
„Linus?“ Der Kahlkopf im Blaumann schaute den Jungen, der im Hinterhof mit dem Hund des Verrückten aus dem Gartenhaus spielte, verdutzt an. Es war Kurbjuhn, der Hausmeister.
Linus begrüßte ihn höflich. Sie tauschten ein paar Floskeln aus und verabschiedeten sich wieder voneinander. Dann aber fiel Linus ein, dass er Kurbjuhn etwas fragen könnte.
„Wo sind denn die ganzen Unterlagen aus dem Gewächshaus hingekommen?“, fragte Linus.
„In et Arschiev“, sagte Kurbjuhn in breitestem Kölsch. „Häste dat niet jewusst? In et Schtadtarschiev. Un do isset dann ... heidewitzka. Affjesoffen met all dem anneren Driss ...“
Kurbjuhn meinte den Einsturz des Kölner Stadtarchivs anderthalb Jahre zuvor. Linus war neu, dass das wissenschaftliche Vermächtnis seiner Eltern an das Stadtarchiv Köln gegangen war, und er beschloss, ein paar Nachforschungen anzustellen.
Ein Anruf genügte und er erfuhr, dass alles, was man inzwischen aus den Eingeweiden Kölns hatte bergen können, in eine riesige Halle nach Porz gebracht worden sei. Vielleicht befänden sich die Dokumente seiner Eltern ja dort ...
[ 1242 ]
Simon saß im Zug nach Berlin.
Ihm gegenüber der Riese Bobo. Bekannt als „der Klopfer“.
Ein vorbestrafter Verbrecher mit Händen so groß wie Koffer. Und Augen so klein wie die Knopfaugen von Simons erstem, längst zerliebten Stoffbären. Ständig waren sie in Bewegung und scannten die Umgebung. In dem hohen, kahlen Rund über den Augen wurden die Informationen gespeichert, kombiniert, mit anderen Daten abgeglichen und schließlich als Ergebnis an das Bewusstsein weitergegeben. Und immer war Ziel dieses komplizierten Prozesses, ein lohnendes Opfer zu finden. War es gefunden, ging es darum, das Opfer in Sicherheit zu wiegen und den rechten Moment abzuwarten, um an Wertvolles oder Bares zu gelangen.
„Keine Sorge, ich kenn mich aus in Berlin“, sagte Bobo zu Simon und lächelte. Simon lächelte zurück. Er vertraute dem Riesen mit dieser seltsamen Fistelstimme, die so gar nicht zu seinem massigen Körper passen wollte.
Vor ein paar Stunden erst hatten sie sich kennengelernt. An der Bushaltestelle in der Nähe der JVA Stammheim. Bobo hatte gerade seine drei Jahre runtergerissen. Auf einer Arschbacke, wie er sagte. Aber die war groß genug, um es mit zwei normalen aufzunehmen, dachte Simon und schaute zurück.
Dort erhob sich der weiße Block der Haftanstalt hinter den Häuschen der braven Bürger wie eine moderne Trutzburg. Alles an diesem Bau – die Mauern, die Zäune, der Stacheldraht – schien dem Betrachter zu sagen, dass man das Böse im Griff hatte. Aber sein Vater war nicht böse. Das wusste Simon. Er war eigen und unnahbar und besessen von seiner Arbeit. Aber nicht böse, er gehörte nicht hinter Mauern. Hinter denen Simon ihn nicht erreichen konnte. Mit der
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