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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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Haltestelle verließen sie den Bus, überquerten den Fahrdamm und winkten auf der anderen Seite ein vorbeifahrendes Taxi heran. Als sie einstiegen, sah Simon, dass seine Verfolger in die andere Richtung dem Bus hinterherfuhren.
    „Vielleicht solltest du mal ein bisschen was von dir erzählen“, sagte Bobo verschmitzt. „Könnte sein, dass uns mehr verbindet, als ich dachte.“
    Während das Taxi über die breiten Straßen nach Schöneberg kreuzte, berichtete Simon Bobo vom Camp und der Nacht im Tunnelsystem unter Berlin. Bobo wollte wissen, an welcher Stelle die drei in den Untergrund eingestiegen waren, doch Simon konnte sich nicht mehr daran erinnern.
    „Vermutlich seid ihr da auf was gestoßen, ohne es zu wissen“, meinte Bobo. „Jetzt sitzen euch die Leute im Nacken. Hast du wirklich keine Ahnung, was das sein könnte?“
    Simon schüttelte den Kopf. Mit aufmerksamen Augen schaute Bobo ihn an.
    „Würdest du die Stelle, wo ihr eingestiegen seid, wiedererkennen?“
    „Mann, da unten ist bloß Schrott gewesen und so ein merkwürdiges Sonnenrad, an die Wand gemalt.“
    „Wer war der Junge eben auf dem Bahnhof?“
    „Thorben? Der war nicht mit da unten!“
    Bobo starrte in die Nacht. „Weiß er was?“
    Simon schüttelte den Kopf. „Für einen Augenblick hab ich gedacht, du gehörst zu denen“, sagte er.
    Bobo nickte. „Die Wirklichkeit ist eine zerbrechliche Sache.“
    Simon fragte sich, was er damit meinte. Bobo hatte da schon das Diktafon in der Hand und drückte auf Aufnahme.
    „»Die Wirklichkeit ist eine zerbrechliche Sache.« Rauskriegen, was das bedeutet!“
    Das Taxi hielt vor einem Lokal namens »Glühwürmchen«. Simon zahlte und sie stiegen aus.
    Die Kneipe war voll und es roch nach Eisbein und Sauerkraut. Jemand spielte Akkordeon und sang Seemannslieder. Bobo ging voraus und erkundigte sich nach einem Mann, der bald darauf aus der Küche kam. Simon sah, wie sich die beiden umarmten. Während er an einem Tisch saß und die anderen Gäste beobachtete, fiel Simons Blick auf die alten Zeitungen, die man anstelle von Tapeten an die Wände geklebt hatte und deren Schlagzeilen vom Nikotin der letzten 30 Jahre fast unkenntlich waren. Zwischen den Artikeln und Fotos von längst vergangenen Ereignissen, Unglücken und Feierlichkeiten, an die sich kaum noch ein Mensch erinnerte, glaubte Simon, ein Sonnenrad zu entdecken, das dem ähnelte, das ihn hatte bewusstlos werden lassen. Simon versuchte, genauer hinzuschauen. Doch die Zeitung war zu vergilbt, um etwas Deutliches zu erkennen. Es schien eine Art Cartoon für Kinder zu sein.
    Bobo kam an den Tisch zurück und lenkte Simons Aufmerksamkeit von dem Zeichen ab. Der kahle Riese stellte ihm einen Mann vor, der einen Froschmund und schlohweiße Haare hatte, die zu seiner hellen, beinahe durchsichtigen Haut passten und zu den verschleierten und wässrigen blauen Augen, die keinen Ausdruck zu haben schienen und in seinem Gesicht schwammen wie zwei Spiegeleier vor dem Braten.
    „Das ist Geister-Bob!“
    Geister-Bob nickte. Der Name passte zu ihm, fand Simon.
    Simon brauchte einen Moment, um den Anblick des Mannes zu verarbeiten. Auf die Knöchel der rechten Hand hatte er HASS und auf die linke LOVE tätowiert. An seinem Hals krabbelte eine auftätowierte Spinne aus dem Kragen.
    „Warum geht er nicht einfach nach Tegel?“, fragte Geister-Bob, nachdem Bobo ihm erklärt hatte, dass Simons Vater verlegt worden sei, Simon jedoch nicht wisse, wohin.
    „Die schieben ihn dauernd“, antwortete Bobo achselzuckend. „Mannheim. Stuttgart. Jetzt Berlin.“
    „Dann will einer nicht, dass er gefunden wird. Vielleicht er selbst. Wie lange sitzt er schon?“
    „Vier Jahre“, sagte Simon.
    „Wie lange noch?“
    Simon zuckte die Achseln.
    „Wegen was?“
    „Angeblich hat er seinen Partner betrogen.“
    „Wobei?“
    „Ging um ein Patent. Irgendwas mit Strom oder Elektrizität.“
    „Industrie?“ Geister-Bob blickte Simon abschätzend an. „Siehst nicht gerade aus wie einer, der von viel Geld kommt.“
    „Mein Vater ist Wissenschaftler. Er hat was erfunden“, sagte Simon stolz.
    Die beiden Männer starrten sich vielsagend an. Simon wusste nicht, was ihr Blick bedeuten sollte.
    „Wenn sie ihn schieben, wird’s schwierig, ihn zu finden. Dann werden sie auch dafür sorgen, dass er keinen Besuch haben kann.“
    Simon zuckte die Schultern.
    „Schieben ist eine beliebte Taktik, einen Gefangenen von seinem Anwalt zu trennen oder ihn unter Druck zu setzen“,

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