Abaton
erklärte Geister-Bob, der offenbar schlauer war, als Simon angenommen hatte.
„Geister-Bob hat studiert“, sagte Bobo beeindruckt.
„Ich dachte, jeder hat das Recht auf Besuch“, sagte Simon zaghaft.
Geister-Bob lächelte leicht, was ihn noch hässlicher aussehen ließ. „Fragt sich nur, wann! Der Knast ist ein Universum für sich, mein Freund. Da gelten andere Regeln und Gesetze und die kennen nur Leute, die lange drinnen waren. Selbst die Wärter wissen nicht, was sich da jeden Tag vor ihren Augen abspielt.“
Simon nickte.
„Wie heißt denn dein Vater?“
„Fröhlich. Dr. Robert Fröhlich“, sagte Simon zögerlich.
Der Geister-Mann wackelte mit dem Kopf, als denke er nach. „Braucht ihr noch was?“
„Was zum Schlafen wäre nicht schlecht“, meinte Bobo.
Geister-Bob nickte und verließ den Tisch und auch Simon wäre am liebsten wieder gegangen. Es war ihm unangenehm, dass nun ein weiterer Krimineller den Namen seines Vaters wusste. Er war naiv gewesen und ärgerte sich über sich selbst. Doch dann kam eine Kellnerin und stellte zwei große Teller mit Essen und dazu zwei Tonkrüge mit Bier auf den Tisch und sein Ärger war wieder vergessen. Bobo hob den Krug und seine Augen begannen, innig zu leuchten.
„Prost! Das schönste Wort der Welt!“
Simon traute sich nicht zu sagen, dass er es nicht gewohnt war, Alkohol zu trinken. Er hob den Krug und nahm einen großen Schluck von dem bitteren Zeug, der ihn sofort schwindelig werden ließ. Eine Stimme in seinem Inneren warnte ihn, dass er aufmerksam bleiben sollte, aber nach dem nächsten Schluck war sie verstummt. Mit einem Mal fühlte sich Simon sicher und aufgehoben im »Glühwürmchen«; zwischen den bunten Lichtern und den großen zuversichtlichen Männern. Es war irgendwie heimelig. Simon war überzeugt, die richtigen Männer getroffen zu haben, die ihm helfen konnten, seinen Vater zu finden. Und wenn er ehrlich war, dann mochte er Bobo und Geister-Bob. Es waren eben andere Leute als die, mit denen er es normalerweise zu tun hatte. Wieso sollten sie schlechter sein? Oder Böses wollen?
Simon nahm noch einen Schluck. Die Wirkung des Biers verwischte seine Sorgen und die Tatsache, dass Bobo und Geister-Bob Verbrecher waren. Als Geister-Bob wieder an den Tisch trat, reichte er Bobo einen Schlüssel. Kurz darauf verließen Bobo und Simon das Restaurant.
Ein Stück weiter die Straße hinab betraten sie ein modernes Wohnhaus, wo der Schlüssel zu einer Wohnung passte. Ein Tisch, darauf ein Aschenbecher, und vier Stühle, ein Eisschrank und ein Haufen Getränkekartons in der Küche, ein Zimmer mit zwei Betten und ein weiteres Zimmer mit Couch und einem Sessel.
Das war’s.
Simon blickte sich um, während Bobo eine Decke und Kissen zusammensuchte, die er achtlos auf die Couch schleuderte, bevor er sich ins andere Zimmer verabschiedete. Das Bier hatte Simon schläfrig und gleichgültig werden lassen. Er wartete, bis Bobo im Bad war und mit langem Strahl in die Toilette pinkelte, geräuschvoll wie ein Pferd, dann steckte er sein Geld in die Unterhose, rollte sich in die Decke und war ein paar Sekunden später eingeschlafen.
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Linus saß hinter dem Steuer und wartete, was ihm einfallen würde. Ihm, dem neuen, coolen, dem angstfreien Linus. Natürlich waren da Gedanken an Olsen. Aber sie waren frei von Sorge, frei von jeder Emotion. Linus zweifelte keine Sekunde, dass er Olsen wiedersehen würde. In seinem Kopf hatte sich längst ein Plan entwickelt, was als Nächstes zu tun war. Er hatte sich vorgenommen, Dr. Ono zu stellen, also würde er das auch tun. Dr. Tomas Ono, Chef der deutschen Filiale des Weltkonzerns M.O.T. Nanos. Linus wollte ihn mit seiner Schuld konfrontieren. Auch das stand außer Frage.
Davor gab es zwei Aufgaben zu lösen.
Linus hielt inne und wunderte sich. Es war ein wohliges Wundern. Bis vor wenigen Stunden noch hätte er es wohl eher als Problemwälzen empfunden. Jetzt aber, nach seiner Selbsttherapie mit Olsens Anlage, waren es lediglich zwei Aufgaben, die er zu erledigen hatte. Aufgabe eins war Timber, Aufgabe zwei waren Rob und Helga. Er musste verhindern, dass sie ihm seine Berlinreise verboten. Linus musste nicht lange überlegen, um Aufgabe eins zu lösen. Timber wäre ein großartiges Geburtstagsgeschenk für die Zwillinge.
Linus steuerte den klapprigen Wagen zum Pfarrhaus.
Er parkte in sicherer Entfernung. Als er an der Kirche vorüberkam, vernahm er Chorgesang. Der Frühgottesdienst. Er hörte den Gesang
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