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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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Sektenguru, der immer recht hatte. Die endlosen Gespräche, die immer nur zu noch mehr Gesprächen geführt hatten – und das Ganze in diesem dämlichen Sektensprech, wie Edda es nannte. Niemand außerhalb der Sekte sprach so. Als Edda nach Deutschland gekommen war, hatte sie neu sprechen lernen müssen.
    „Und wenn ihr Söhne bekommen hättet? Hättet ihr sie dann gehasst?“, fragte Edda. Ihre Mutter wirkte so verdattert angesichts dieser Frage, dass es schien, als hätte sie noch nie darüber nachgedacht. „Männer sind doch keine Feinde“, setzte Edda nach. „In Indien bist du mit all den anderen Frauen doch auch um euren Guru rumgetanzt. Und der war ein Mann!“
    Eddas Mutter nickte und schloss salbungsvoll die Augen. Dann öffnete sie sie wieder und blickte Edda an. „Du redest wie Marie“, sagte sie und es klang wie: Ihr habt keine Ahnung. „Er war ein sehr weiser und ungewöhnlicher Mann.“
    „Ein Betrüger war er, der sich an Kindern vergangen hat. Steht sogar im Internet!“ Edda spürte, wie sich die Spannung zwischen ihnen aufbaute. Ihr war mit einem Schlag klar, dass sie nicht mehr nachgeben konnte. Sie hatte in den letzten Jahren ihren eigenen Weg finden müssen und sie war entschlossen, sich durch das Auftauchen ihrer Mutter nicht wieder davon abbringen zu lassen. Sie wollte nicht zurückkehren in eine Welt, in der die Menschen getäuscht und abhängig gemacht wurden.
    „Weißt du, Edda, die Leute reden immer gescheit daher, aber sie verstehen nichts! In Indien haben wir uns um andere Dinge gekümmert als um Familie und wie man in einer kranken Gesellschaft funktioniert! Dinge, die du noch nicht verstehen kannst. Von denen du aber später im Leben noch merken wirst, wie wichtig sie für dein Leben sind! Für das Leben aller.“
    Edda, die auf einem der alten Korbstühle saß, umschloss die warme Schale mit beiden Händen und zog die Beine unter. Sie senkte das Gesicht über den dampfenden Tee und verbarg sich hinter ihren Haaren, die wie ein Vorhang um die Schale fielen.
    „Du hast noch viel Zeit, zu entscheiden, wie du leben willst. Du bist gerade 14“, fügte die Mutter hinzu. „Es ist wichtig, auch Irrwege zu gehen.“
    Edda schaute auf.
    „Ich hab keine Lust, eine Außenseiterin zu sein, die sich einreden muss, was Besseres zu sein, weil sie keine Freunde findet. Und die sich einer Sekte anschließen muss, damit sie nicht allein ist!“
    „Eddalein ...“
    „Nein! Edda! Ist eine Sekte etwa besser als eine Familie? Sag es mir! Was ist besser an einer Sekte?“ Edda musterte ihre Mutter scharf. „Ich brauche keine Zeit, um das zu entscheiden. Ich will mein eigenes Leben leben. Ich will einen Freund haben und Kinder will ich! Und zwar Mädchen und Jungs !“
    Edda war laut geworden und ärgerte sich über sich selbst. Und dann ärgerte sie sich, weil sie sich über sich selbst ärgerte. Weil sie immer Rücksicht nahm. Weil sie dachte, nur weil ihre Mutter gerade aus der Anstalt gekommen war, sei jetzt bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt, um sich zu streiten. Und dann ärgerte sie sich wieder, weil sie ihr ganzes Leben lang schon Rücksicht auf ihre Mutter genommen hatte, weil es immer um die Sorgen und Ängste ihrer Mutter gegangen war! Und um diesen Guru in Indien!
    „Es ist völlig in Ordnung, wenn du wütend bist, Edda“, sagte die Mutter. „Auch wenn du es noch nicht so sehen kannst – eines Tages wirst du stolz sein auf das, was deine Mutter in ihrem Leben getan hat; auch auf deine Zeit in Indien. Sie wird dein Leben auf immer prägen. Glaub mir.“
    „Nein!“ Edda hob die Hände. Sie wollte nicht, dass diese Sätze sie erreichten, wollte sie nicht mehr hören. Es waren genau diese Phrasen ihrer Mutter, die Edda wütend machten. „Ich bin überhaupt nicht stolz. Am wenigsten auf deinen Guru, der dich in die Klapse gebracht hat!“
    Ab auf den Dachboden, dachte sie. Auf den Dachboden, bevor ich ihr noch eine klatsche!
    Edda hörte nicht mehr, was ihre Mutter sagte. Sie war bereits auf dem Dachboden ihrer Erinnerungen. Bei der Kiste, in der die kleine, weiße Schlange lag. Die Schlange, die Edda in Indien eines Nachts im Traum erschienen war. Und die sie gebeten hatte, den Guru zu töten.
    Tatsächlich war der Guru in derselben Nacht gestorben.
    Die Polizei war in die Siedlung gekommen und hatte alle in kleine Busse und Lieferwagen gesperrt und mitgenommen. Auch Edda und ihre Mutter. Bald hatte man herausgefunden, dass sich eine kleine Giftschlange in der Teekanne auf

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