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Abbau Ost

Titel: Abbau Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Baale
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werden, hat die Ostdeutschen bislang nie ein Soziologe
     befragt.
    Dennoch war dieses Missverständnis die Geburtsstunde der Sozialisationstheorie. Die mangelnde Integrationsfähigkeit der Ostdeutschen
     wurde aus ihrer DDR-typischen Sozialisation erklärt, dort erworbene Wertorientierungen würden sich auch im vereinigten Deutschland
     als außerordentlich beständig erweisen. Die offizielle politische Zielkultur des SED-Regimes habe den DDR-Bürgern eigentümliche
     Orientierungen vermittelt, in denen sich Werte wie Wirtschaftswachstum, Leistungsprinzip und Aufstiegsorientierung mit einer
     dazu im Widerspruch stehenden egalitären Gesellschaft verbinden würden. Diese Wertvorstellungen ließen sich auch heute noch
     bei ehemaligen DDR-Bürgern nachweisen, |24| weshalb daraus auf erfolgreiche Sozialisationsbemühungen des SED-Regimes geschlossen werden müsse.
    Bis heute ist die Sozialisationshypothese die bestimmende Betrachtungsweise in wissenschaftlichen Publikationen. Gäbe es noch
     eine weitere, ostdeutsche Sichtweise, so würde sie sicher besagen, dass sich Ost- und Westdeutsche in ihren Wertvorstellungen
     nur wenig unterscheiden, wohl aber in ihren Erfahrungen mit zwei deutschen Gesellschaftsentwürfen und den Möglichkeiten ihrer
     Teilhabe im wiedervereinigten Deutschland. Neuere Forschungen untermalen dieses Bild. Untersuchungen der Verwaltungshochschule
     Speyer, bei denen Bürger nach ihren Orientierungen befragt und fünf sogenannten speyerischen Wertetypen zugeordnet wurden
     (vorrangig traditionell orientierte Menschen, Idealisten, hedonistisch und materiell Orientierte, aktive Realisten und perspektivlos
     Resignierte), hat sich gezeigt, dass es unter ehemaligen DDR-Bürgern einen besonders hohen Anteil aktiver Realisten gibt.
     Dieser Wertetyp gilt als der zukunftsfähigste überhaupt. »Aktive Realisten«, schreibt der Speyerer Soziologieprofessor Helmut
     Klages in seinem 2001 erschienenen Aufsatz ›Brauchen wir eine Rückkehr zu traditionellen Werten?‹, »sind auf eine konstruktiv-kritikfähige
     und flexible Weise institutionenorientiert und haben verhältnismäßig wenig Schwierigkeiten, sich in einer vom schnellen Wandel
     geprägten Gesellschaft zielbewusst und mit hoher Selbstsicherheit zu bewegen. Mit allen diesen Eigenschaften nähern sie sich
     am ehesten dem Sollprofil menschlicher Handlungsfähigkeiten unter den Bedingungen moderner Gesellschaften an.« Eine derartige,
     marktwirtschaftliche Verhältnisse bejahende Wertorientierung erfordert eine geringe Frustrationsanfälligkeit gegenüber gesellschaftlichen
     Veränderungen. Die vom Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Technischen Universität Dresden im Jahr
     2003 veröffentlichte Vergleichsstudie ›Seelische Gesundheit in Ost und West‹ stellt ehemaligen DDR-Bürgern auch in dieser
     Hinsicht gute Noten aus. »Entgegen früherer Befunde«, heißt es dort zusammenfassend, »treten psychische Störungen im Gebiet
     der früheren DDR seltener auf als in Westdeutschland. Auf einer individuellen Ebene, |25| auf der sich letztlich psychische Störungen manifestieren, wirken Einwohner der neuen Bundesländer eher robuster.« Auch wenn
     der Osten inzwischen aufgeholt hat, spielen Drogen im neuen Bundesgebiet immer noch eine geringere Rolle, wobei Alkohol eine
     Ausnahme bildet. Die Autoren Frank Jacobi, Jürgen Hoyer und Hans-Ulrich Wittchen rätseln in der Studie, dass »Alkoholstörungen
     trotz höherer Raten gesundheitsschädlichen Konsums im Osten seltener sind«, und vermuten, »ob vielleicht geselliges Trinken
     verbreiteter, einsames (funktionales) Trinken aber seltener ist. Eine Erklärung zugunsten der neuen Bundesländer, dass Konkurrenz,
     Neid und die Neigung zum sozialen Vergleich für den Osten vielleicht doch weniger charakteristisch sind.«
    Nicht alle Zumutungen konnten ehemalige DDR-Bürger durch »geselliges Trinken« kompensieren. Kaum zu verkraften waren die Aussagen
     von Kai Arzheimer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Mainz, und von Markus
     Klein, Volkswirt und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentralarchiv für empirische Sozialforschung an der Universität Köln.
     In ihrem viel beachteten Aufsatz ›Gesellschaftspolitische Wertorientierungen und Staatszielvorstellungen im Ost-West-Vergleich‹
     warnen sie, »dass das politische System zunehmend unter Stress geraten wird, sollten sich die politischen Orientierungen in
     Ost und

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