Abbau Ost
und Meister hat noch eine Aufgabe für mich. Das
1989 war der erste Teil, jetzt kommt der zweite Teil der Revolution. Es geht um eine grundsätzliche Veränderung des Systems,
um eine |249| Gesellschaft jenseits des Kapitalismus. Es geht um das Recht auf Arbeit. Eine Gesellschaft, die das nicht zustande bringt,
hat keine Daseinsberechtigung. Es ging uns nie darum, dass wir den Kapitalismus westdeutscher Prägung wollten, wir wollten
den Sozialismus aus seiner Erstarrung erlösen – eine demokratische Gesellschaft, durchaus mit marktwirtschaftlichen Elementen.«
Heiko Lietz war in seinem Leben »sieben oder acht Mal arbeitslos«, zuletzt musste er sich Anfang 2004 beim Arbeitsamt melden.
Seit dem 1. November 2005, nach 22 Monaten Arbeitslosengeld, ist er Frührentner und verfügt über »ein geringes, aber sicheres
Einkommen«. Seine Frau hat sich von ihm getrennt. Er unterhält jetzt ein kleines Bürgerbüro in Schwerin, Am Packhof 8, ganz
in der Nähe vom Bahnhof. Es ist genug zu essen und trinken da, und es reicht auch für die Miete. »Ich hab nicht viel mit mir
herumzuschleppen, ich hab ein ganz leichtes Gepäck.« Freunde unterstützen ihn mit Spenden. »Ich bin der Letzte, die anderen
von damals haben sich alle irgendwie arrangiert.« Marianne Birthler ist Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Matthias
Platzeck Ministerpräsident von Brandenburg. »Eigentlich sollte ich den beiden mal schreiben, damit sie mir 20, 30 Euro monatlich
als Spende für mein Bürgerbüro überweisen.« Das Büro liegt direkt unter dem Dachboden, es ist klein, hat schräge Wände, aber
»es ist preiswert, warm, und ich sehe den Himmel. Und von hier aus ziehe ich meine Fäden.«
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Der Herbst des Patriarchen
Honecker war ein Amateurjournalist. Immer wenn er etwas gesehen
hatte, was ihn interessierte, hat es selbst formuliert. Er hat sich
zum Beispiel die Friedenskundgebungen in Bonn im Fernsehen angesehen
und hat dann nicht meinen Bericht, sondern seine eigene
Geschichte gebracht, und die war dann eine völlige Verdrehung der
Tatsachen.
Ralf Bachmann, von 1981 bis 1986 Bonner Korrespondent des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes (ADN) in einem Interview
der Bundeszentrale für politische Bildung vom 17. Juni 2004
|250| Zeitzeugen meinen, es habe einmal eine Zeit gegeben, in der Erich Honecker politischen Instinkt besaß. Sollte dies tatsächlich
der Fall gewesen sein, so war davon in den letzten Jahren vor der Wende nichts mehr zu spüren. Am 3. Mai 1971 wurde Honecker
zum Ersten Sekretär des Zentralkomitees der SED gewählt und trat die Nachfolge von Walter Ulbricht an. Er regierte den östlichen
Teil Deutschlands über einen Zeitraum von mehr als 17 Jahren und übertraf als Staatsoberhaupt im geteilten Nachkriegsdeutschland
sogar die 16 Jahre währende Amtszeit seines westdeutschen Gegenstücks Helmut Kohl. Neben seiner Funktion als Generalsekretär
der »führenden Partei der Arbeiterklasse« übernahm er von Ulbricht den Vorsitz des Nationalen Verteidigungsrates, der ihm
im Falle einer Krisensituation die Befehlsgewalt über die Nationale Volksarmee und die Grenztruppen sicherte. Zudem sicherte
sich Honecker auch die Funktion des Staatsratsvorsitzenden der DDR und stellte so die Personalunion zwischen Parteispitze
und Staatsführung her.
Viel Persönliches ist über den Mann, dessen Ansichten und Entscheidungsgewalt den Werdegang eines Millionenvolks beeinflussten,
nie bekannt geworden. Ausgelassen und innerlich befreit erlebten ihn Parteigenossen allenfalls auf Jagdausflügen. Noch Anfang
der 90er Jahre, zu diesem Zeitpunkt schon schwer erkrankt, gestand der einstige Regierungschef seinem Chirurgen, dass er bei
der Jagd seine schönsten Momente erlebt habe. Immer am Dienstag nach der Politbürositzung, das Ende lag gewöhnlich zwischen
15.00 und 16.00 Uhr, zog es ihn in die Schorfheide, in sein 28 000 Hektar großes, vollständig eingezäuntes Jagdrevier. Günther
Wlost, einer der Jagdleiter, erinnerte sich an den Generalsekretär als »einen höflichen und anständigen Menschen. In den letzten
Jahren vielleicht, da konnte man manchmal den Eindruck gewinnen – wie soll ich das sagen – als sei ihm alles etwas zu Kopf
gestiegen. Aber das war nicht immer so, früher hatte der seinen Laden im Griff«. Günther Wlost kannte Honecker schon seit
den 50er Jahren und hatte oft für den Staatschef das Jagdhorn geblasen. »Honecker war mindestens
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