Abbau Ost
einmal, manchmal zweimal
die Woche bei uns. Natürlich nicht, wenn er Urlaub hatte und |251| sich mit Breschnew auf der Krim sonnte. Aber wenn Jagdsaison war, kam er auch öfter. Seine Ehe war nicht in Ordnung.« Günther
Wlost hat diese Jahre in schöner Erinnerung. Es gab unvergessliche Episoden: Einmal, das musste am 10. April gewesen sein,
da besuchte er gemeinsam mit anderen Kollegen den Wolf Dietrich Linz, der hatte gerade Geburtstag. Am späten Nachmittag standen
sie dann alle vor seinem Haus am Reiersdorfer Seebruch und hörten von der anderen Seite mehrere Schüsse. Dort lag ein Futterplatz
für Wildschweine, und sie dachten, Erich hätte ein paar Wildschweine geschossen, setzten spontan die Jagdhörner an die Lippen
und bliesen »Sau tot«. Kurz darauf fuhr Honeckers Wagen vor, der Fahrer stieg aus und brachte ihnen zwei Flaschen Wodka. »Waidmanns
Dank«, sagte der Fahrer.
Jenseits solch glücklicher Momente lag der politische Alltag eines Mannes, der durch ein Komplott mit Moskau an die Macht
gelangt war. Erich Honecker konnte sich ins Gespräch bringen, als die Alleingänge Walter Ulbrichts die Machthaber im Kreml
zunehmend verärgerten und sie nach einer Alternative suchten. Später wurde kolportiert, der damalige Kremlchef Leonid Breschnew
habe Honecker beiseitegenommen und ihm deutlich gemacht, dass es die DDR ohne die Sowjetunion nicht gäbe. Die erste, öffentlich
bekannt gewordene Emanzipationsbestrebung gegenüber der Sowjetunion datierte vom Februar 1987, als sich Honecker von Gorbatschows
Reformkurs distanzierte. Der innere Konflikt, einerseits mit der Machtfülle eines Diktators ausgestattet zu sein, andererseits
nur von Moskaus Gnaden regieren zu dürfen, muss Honecker schwer zu schaffen gemacht haben. Möglich, dass er seine missliche
Lage durch das Dreiecksverhältnis mit Bonn kompensierte. Der erste, bereits 1984 geplante und noch von Herbert Häber vorbereitete
Staatsbesuch in Bonn ging der sowjetischen Parteiführung zu weit. Honecker musste am 17. August 1984 in Moskau antanzen, wo
er sich mithilfe einer 44 Seiten umfassenden Gesprächskonzeption rechtfertigte. Während des heftigen, sich über drei Stunden
hinziehenden Wortgefechts äußerte Verteidigungsminister Dimitrij Ustinow den Verdacht, das Politbüro wolle eine Aussöhnung
mit der BRD vorantreiben, und Konstantin |252| Russakow, Sekretär im Zentralkomitee der KPdSU verlangte von den ostdeutschen Genossen die »entschiedene Abgrenzung von der
Bundesrepublik«. Honecker sagte seine Westreise ab und entschuldigte sich für sein eigenmächtiges Handeln. Gegenüber Bonn
hatte er die Einflussnahme Moskaus nie zugegeben. »Wenn irgendwer glaubt«, erklärte er seinen westlichen Gesprächspartnern,
»ich muss irgendjemanden fragen, wann ich wohin fahre, über den kann ich nur lachen.«
Eine Eiszeit in den deutsch-deutschen Beziehungen löste die Absage des Bonn-Besuchs nicht aus. Bis zum September 1987, als
Honecker dann tatsächlich mit allen Ehren in Bonn empfangen wurde, gab es freundschaftliche Treffen mit mehr als 40 westdeutschen
Politikern – darunter der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß, Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble (CDU), der SPD-Fraktionsvorsitzende
Hans-Jochen Vogel, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau (SPD), der SPD-Oppositionsführer im niedersächsischen
Landtag, Gerhard Schröder. Und diese rege Besuchstätigkeit beschränkte sich nicht nur auf die Politiker, zumindest ein Teil
der ostdeutschen Bevölkerung erfreute sich an dem ostwestdeutschen Tauwetter. Ab 1985 besuchten jährlich 250 000 Ostdeutsche
den Westen Deutschlands. Noch in den 70er Jahren blieb dieses Privileg nur wenigen tausend DDR-Bürgern, zumeist Rentnern vorbehalten.
Zwar herrschte nach wie vor Willkür beim Entscheidungsverfahren, es gab keinen Rechtsanspruch und kein Beschwerderecht, Ablehnungen
wurden nicht begründet, und auch sonst warteten die Antragsteller in jeder Hinsicht ängstlich auf ihren Bescheid, dennoch
wurden die Besuchsreisebestimmungen in der zweiten Hälfte der 80er Jahre deutlich großzügiger ausgelegt. Hunderttausende,
die vorher nie eine Chance hatten, konnten plötzlich eine Fahrkarte lösen, sich in den Zug setzen und mit Herzklopfen eine
Grenze passieren, die ihnen noch vor Kurzem als unüberwindbar galt. Und noch etwas wurde anders. Besuchsreisen wurden nicht
mehr nur aus einem Grund, wegen »dringender
Weitere Kostenlose Bücher