Abbau Ost
so wird berichtet, mit nach Hause, in ihre Wohnung in
Santiago genommen, und dort steht sie noch heute.
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Bewegte Bilder
Die Ereignisse des Umbruchs in der DDR sind Lars Brücher noch lebhaft in Erinnerung. Die Fluchtbewegung über die ungarischösterreichische
Grenze, Freudentränen und diese unbeschreibliche Erleichterung in den Gesichtern der Angekommenen. Die Montagsdemonstrationen,
Hunderttausende Menschen auf den Straßen. Die dramatischen Worte von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher vom Balkon
der Prager Botschaft, als er den Flüchtlingen ihre Ausreisebewilligung in die Bundesrepublik bekannt gab. Es ist fast, als
würde ihm der unbeschreibliche Jubel noch heute in den Ohren klingen.
Lars Brücher war damals 18 Jahre alt. Er lebte bei seinen Eltern in Hamburg und machte gerade das Abi. Jahre später, als er
Geschichte, Soziologie und Literatur in Bielefeld studierte und sich mit DDR-Geschichte beschäftigte, wurde ihm bewusst, dass
er bei all dem, an das er sich noch heute so lebhaft erinnert, nie wirklich dabei war. »Die Bilder, die ich im Kopf habe,
entstammen ausnahmslos dem Fernsehen. Das ist mir irgendwann klar geworden, und mir wurde der Einfluss dieses Mediums auch
für die Flucht- und Bürgerbewegung deutlich.« Das Thema erschien ihm derart spannend, dass er es zum Gegenstand seiner Magisterarbeit
machte. Dazu untersuchte er, welche »Sprengkraft das Westfernsehen im Laufe der Wende entwickelte«, und stellte seiner Arbeit
die These voran, dass »die Wende in der DDR durch Medien eine unglaubliche |260| und vorher in dieser Form nie da gewesene Beschleunigung erhalten hat«. Diese These schien ihm so gewagt, dass er, »um Missverständnissen
vorzubeugen«, gleich im Eingangsteil seiner 117 Seiten langen Arbeit klarstellt, »dass die Wende in dieser Studie nicht als
reine Medienrevolution gesehen und gezeichnet werden soll«. Dennoch dreht sich seine gesamte Untersuchung um »die zentrale
Hypothese, dass insbesondere das Westfernsehen eine bedeutende Rolle spielte, weil die vermeintliche Authentizität der Fernsehbilder,
aber auch der zunehmende Wandel der westlichen Medien vom Betrachter zum Akteur, einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung
des politischen Protests und den daraus resultierenden Veränderungen in der DDR hatte. Die Bürgerbewegung brauchte das Westfernsehen,
um überhaupt diese Popularität und Mobilisierungspotenz zu erreichen. Gleichzeitig wurde sie abhängig von den Gesetzen der
Dramaturgie des Fernsehens.«
Einige Seiten seiner Arbeit widmet Lars Brücher der suggestiven Wirkung des Fernsehens. Problematisch dabei ist, dass die
Überprüfung des Wahrheitsgehalts »bei der Lektüre eines Buches leichterfällt als bei der Rezeption eines Fernsehberichts.
Fernsehbilder werden als quasi selbst erlebt empfunden, da das vermeintlich Geschehene mit eigenen Augen gesehen wurde.« Dabei
wird die unterschiedliche Wahrnehmung von Bild und Ton in den Fernsehredaktionen bewusst als Gestaltungsmittel eingesetzt.
Das Bild gibt dem Betrachter eine objektiv scheinende Wahrheit vor; wird aber nicht der dazugehörende Originalton gesendet,
sondern das Bild kommentiert, lässt es sich »in einen ganz anderen Sinnzusammenhang stellen«. Ein weiteres, die Wirklichkeit
verfälschendes Kriterium ist die Auswahl der Nachrichten. »Diese Selektion«, schreibt Lars Brücher, »wird durch Faktoren wie
Überraschung und Neuheit (Brechung bestehender Erwartungen), Quantitäten, Normverstöße, schwelende Konflikte und nicht zuletzt
von Aktualität bestimmt. Das bedeutet beispielsweise, dass wiederkehrende Proteste mit immer gleichen Forderungen nur dann
von medialem Interesse sind, wenn sich die Zuspitzung eines Konflikts konstatieren lässt oder sich – wie im Fall des Niedergangs
der DDR – die Anzahl der Flüchtlinge und Demonstranten wöchentlich |261| steigert.« Dabei schafft sich das Fernsehen mitunter selbst die erwünschten Ereignisse, wenn nämlich »soziale Bewegungen oder
Konflikte erst durch eine bestimmte Berichterstattung hervorgerufen werden«. Die DDR-Bevölkerung war besonders empfänglich
für die Dramaturgie des Fernsehens, denn sie ließ sich durch den westdeutschen, ihrem »eigenen Staat gegenüber negativ orientierten
Medienapparat« informieren. Die ›Aktuelle Kamera‹ des DDR-Fernsehens (täglich 19.30 Uhr bis 20.00 Uhr) war eingebettet in
die Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen
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