Abbau Ost
und popularisieren diesbezüglich
Handlungen mit dem Ziel, solche Personen und Zusammenschlüsse unter den Schutz der internationalen Öffentlichkeit zu stellen.«
Als Mitwirkende an Ereignissen, über die sie dann zugleich der Öffentlichkeit berichteten, setzten sich westdeutsche Journalisten
über das grundlegende Prinzip ihres Berufsstandes hinweg, die Distanz zwischen Berichterstatter und Berichtsgegenstand. Sie
wurden selbst zu Akteuren.
Am 11. September brachte die ›Tagesschau‹, dass sich eine oppositionelle Gruppe mit dem Namen »Neues Forum« um eine staatliche
Zulassung bemühen wolle. Zwei Tage später, in ›Kennzeichen D‹, wurden mit Rolf Henrich und Bärbel Bohley die Wortführer vorgestellt.
Wegen des Interviewverbots fertigten die beiden ein Amateurvideo an, das in der Sendung gezeigt wurde. Westdeutsche Journalisten
hatten ihnen die Aufnahmetechnik beschafft und so eine fernsehtaugliche Selbstdarstellung ermöglicht. »Das Entscheidende ist
für mich«, sagte Rolf Henrich in die Kamera, »dass sich eine totale Perspektivlosigkeit breitmacht unter den hier lebenden
Menschen, und niemand kann ohne eine Perspektive leben – auch nicht der DDR-Bürger. Wenn das tatsächlich so ist, dann müssen
wir jetzt – und zwar sehr schnell – unser Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Dann müssen wir uns zur Opposition formieren,
um als Opposition über die Perspektive unseres Landes nachzudenken. Insofern halte ich es für wichtig, dass wir eine breite
Plattform schaffen, von der aus die Menschen |266| politisch-alternativ handeln können.« Dieser Appell wurde am 13. September gesendet. Das Neue Forum hatte jetzt zwei, über
das Westfernsehen bekannt gemachte Gesichter, aber noch keinerlei Organisationsstruktur. Am 18. September nahmen sich auch
die ›Tagesthemen‹ des Neuen Forums an. Es wurde der Gründungsaufruf gezeigt und daraus zitiert. »Aus 30 Erstunterzeichnern«,
hieß es in der ab 22.30 Uhr ausgestrahlten ARD-Sendung, »sind mittlerweile schon 1 500 geworden und ihre Zahl wächst täglich.«
Am 24. September berichtete die ›Tagesschau‹ von einem Treffen oppositioneller Gruppen, das angeblich zum Ziel habe, alle
Initiativen unter dem Dach des Neuen Forums zu bündeln. Derartige Absichten hatten allerdings nie existiert. Auch hieß es
in späteren Berichten, eine der Hauptforderungen auf den Montagsdemonstrationen sei die staatliche Zulassung des Neuen Forums.
Auch in diesem Falle handelte es sich um eine Falschmeldung.
Inzwischen weckten die wöchentlich steigenden Teilnehmerzahlen an den Montagsdemonstrationen das Interesse der Fernsehredaktionen.
Den entscheidenden Wendepunkt bildeten die Ereignisse am 9. Oktober in Leipzig, der ersten Montagsdemonstration mit wirklicher
Massenbeteiligung. In der ›Tagesschau‹ desselben Tages fand das Ereignis nur wenig Widerhall. Leipzig war für westdeutsche
Korrespondenten gesperrt worden, ARD-Reporter hatten etwas von 10 000 Teilnehmern gehört. Schon zweieinhalb Stunden später
in den ›Tagesthemen‹ sprach Moderator Hanns-Joachim Friedrichs von »mindestens 50 000, vielleicht sogar 80 000 Menschen«.
Am Folgetag zeigte die ›Tagesschau‹ Bilder, die von den eigens von Berlin nach Leipzig gereisten Bürgerrechtlern Siegbert
Schefke und Aram Radomski gefilmt worden waren. Die beiden hatten sich Zugang zum Turm der reformierten Kirche in der Leipziger
Innenstadt verschafft, von wo aus sie den Demonstrationszug überblicken konnten. Das fernsehtaugliche Filmmaterial wurde von
einem Korrespondenten über die Grenze ins ARD-Studio nach Westberlin gebracht. »Vor sechs Wochen«, kommentierte Horst Hano
den ›Tagesschau‹–Bericht, »waren es noch 500, gestern waren es 70 000.« Besonders hervorgehoben wurde die Tatsache, dass es
bei dieser Montagsdemonstration zu |267| keinerlei Gewalttätigkeiten gekommen war. Am folgenden Montag demonstrierten 120 000 Menschen in Leipzig, und in der Woche
darauf versammelten sich 320 000 Demonstranten.
»Die westlichen Medien«, schreibt Lars Brücher im Fazit seiner Arbeit, »suchten den Kontakt zu den Oppositionellen, um einen
medial interessanten Gegenpart innerhalb der DDR aufzubauen, die Oppositionellen nutzten den Kontakt vielfältig und zum Teil
mit modernsten Möglichkeiten, um DDR-Bürger über das Westfernsehen für das Erkämpfen der von ihnen vertretenen Forderungen
zu mobilisieren. Die daraus resultierende Berichterstattung
Weitere Kostenlose Bücher