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Abbau Ost

Titel: Abbau Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Baale
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20 000 Menschen. Auf östlicher
     Seite warten DDR-Bürger, auf westlicher Seite drängen sich Schaulustige und Kamerateams mit aufgeblendeten Scheinwerfern.
     »Macht auf«, kommt es übers Telefon aus der Stasi-Zentrale, »euch bleibt gar nichts anderes übrig.« Oberstleutnant Edwin Görlitz
     legt den Hörer auf und sagt gegen 23.30 Uhr: »Wir fluten jetzt.«
    Am Grenzübergang Invalidenstraße herrscht zu diesem Zeitpunkt immer noch Chaos. Überall parken Autos. Ankommende halten, wo
     noch Platz ist, steigen aus und laufen zum Übergang. Auf Westberliner Seite ragt der Richtfunksendemast des Senders Freies
     Berlin aus der Menschenansammlung. Auf Ostberliner Seite haben die DDR-Bürger eine Schlange gebildet und warten, bis sie an
     der Reihe sind. Die Grenzposten drücken ihnen einen Stempel in den Ausweis. »Was denn«, sagt einer, »das glaub ich nicht«.
     Einige müssen regelrecht weitergeschoben werden. Sie haben Angst, dass sie nicht wieder zurückkönnen. »Ich soll jetzt rüber.
     Aber wohin? Ich habe ja keinen Pfennig in der Tasche.« Dann brüllt jemand auf der Westberliner Seite: »Wir wollen rein!« Zwischen
     den Massen ist Bürgermeister Walter Momper zu erkennen. Blitzlichter, Mikrofone, Kameras. Und dann bewegen sich die Menschen
     in Westberlin auf die Absperrungen zu, Richtung Ostberlin. Einige Grenzsoldaten versuchen noch, Schlagbaum und Tore geschlossen
     zu halten, doch gegen 1.00 Uhr fangen die Ersten an zu rennen, und auf Ostberliner Seite ist nicht mehr zu unterscheiden,
     wer kommt aus dem Osten der Stadt, wer aus dem Westen.
    |272| Günter Schabowski kommt an diesem Abend erst spät nach Hause. Die ZK-Tagung hatte sich noch hingezogen. Von der Grenzöffnung
     erfährt er erst durch einen Anruf. Daraufhin macht er sich auf den Weg zum Grenzübergang. Ein Grenzoffizier soll ihn erkannt
     und gemeldet haben, dass seine Weisungen ordnungsgemäß ausgeführt worden seien.
    Die Macher des Neuen Forums arbeiten in Ostberlin gerade an einer Rede, die dem Landessprecherrat vorgetragen werden soll.
     Es geht darum, die DDR zu verändern. Plötzlich stürzt jemand zur Tür herein und ruft aufgeregt: »Die Grenze ist offen!«
    Jo Brauer, der die Nachrichten in der ›Tagesschau‹ am 9. November gesprochen hatte, konnte während der Sendung »zwar die Contenance«
     bewahren, aber zu Hause hat er dann »die ganze Nacht lang vor dem Fernseher gehockt und geheult«.

[ Menü ]
Der omnipotente Dr. Kohl
    Ich wollte Ehrlichkeit, kein Anheimeln. Zunächst tat Kohl überfreundlich
, doch politisch hat er unsere Anliegen nie ernst genommen
. Als er mich später nicht mehr für wichtig hielt, ging er respektlos
mit mir um. Spätestens nach der Wende war ich nur noch
der Klassenfeind.
     
    Hans Modrow, letzter Ministerpräsident der DDR, in ›Ich wollte ein neues Deutschland‹, Berlin, 1998
    Am Morgen des 10. November erwachten die Deutschen in einem anderen Land. Die Medien hatten die Wiedervereinigung als Seifenoper
     inszeniert, ein rührseliges Stück deutsch-deutsche Geschichte, das sich im Fernsehsessel wunderbar miterleben ließ, die triste
     Wirklichkeit aber weitgehend ausblendete. Was in dieser Nacht geschehen war, sprengte jeden Rahmen. Die Trennung zwischen
     zwei Staaten, die über Jahrzehnte ganz unterschiedliche Entwicklungen genommen hatten, war aufgehoben. Zwei Staaten mit verschiedenen
     Währungen und Bankensystemen, mit gänzlich anderen Eigentumsbegriffen und Gesetzen, mit unterschiedlichen |273| Subventionsrichtlinien, Sozialversicherungen, Bildungssystemen hatten plötzlich keine Grenze mehr. Das hätte einiger Jahre
     Vorbereitung bedurft. Welche Möglichkeiten standen denn jetzt überhaupt noch offen?
    Am 28. November, drei Wochen nach Grenzöffnung, präsentierte Helmut Kohl dem Bundestag sein ›Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung
     der Teilung Deutschlands und Europas‹. Das Programm war in großer Eile und unter strenger Geheimhaltung in Kohls Privatwohnung
     entstanden. Der Kanzler hatte die wenigen Mitwirkenden selbst ausgewählt und persönlich angesprochen. Der Text wurde auf der
     Schreibmaschine seiner Frau Hannelore getippt. Zum ersten Mal fielen im Bundestag jene Worte, die ostdeutsche Unterhändler
     der Bundesregierung schon seit Jahren nahezubringen versuchten, »nämlich konföderative Strukturen zwischen beiden Staaten
     in Deutschland«. Helmut Kohl sagte, er sei sicher, dass die Einheit kommen werde, wenn die Menschen in Deutschland sie wollten,
     und hatte

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