Abbau Ost
er eingeschlagen wurde.«
Angesichts der allumfassenden, in der damaligen Bundesregierung und im Bundesfinanzministerium versammelten Inkompetenz muss
doch einmal gefragt werden, ob es wirklich klug war, vom westlichen Europa, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten, Westdeutschland
mit der DDR allein zu lassen. Die Bundesrepublik Deutschland hätte bei einem völkerrechtlich so sensiblen und volkswirtschaftlich
so anspruchsvollen Problem wie dem Zusammenwachsen zweier Staaten dringend der Unterstützung bedurft. Was war überhaupt die
Motivation bei den Machern der D-Mark-Umstellung? Für die Bundesregierung war die sogenannte Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion,
daran besteht überhaupt kein Zweifel, zuallererst ein Konjunkturprogramm für die westdeutsche Wirtschaft. Beginnend mit dem
Tag der Währungsumstellung wurde für die westdeutsche Wirtschaft ein Nachfrageschub von 20 bis 25 Prozent ausgelöst, die Arbeitslosigkeit
sank Anfang der 90er Jahre im alten Bundesgebiet noch einmal für einige Jahre deutlich unter die Zwei-Millionen-Grenze. Neben
diesem vorübergehenden Konjunkturschub auf Kosten Ostdeutschlands fällt im Zusammenhang mit der D-Mark-Umstellung eine Zahl
ins Auge. Der Geldmengenausweitung von rund 180 Milliarden D-Mark standen zum Zeitpunkt der Währungsumstellung rund 180 Milliarden
D-Mark Altschulden gegenüber. Ist das ein Zufall oder wurden die Umtauschkurse tatsächlich so festgelegt, dass die ostdeutsche
Wirtschaft mit fast genau jener Summe, die von der Bundesbank an neuen Geldscheinen gedruckt wurde, beim Bund in der Kreide
stand? Beabsichtigte die Bundesregierung, die ostdeutsche Bevölkerung, indem sie ihre sozialistischen Schulden an die Bundesregierung
zahlte, für die Verringerung des westdeutschen Staatsdefizits arbeiten zu lassen? War den Verantwortlichen tatsächlich nicht
bewusst, dass diese Rechnung niemals aufgehen konnte, weil beide Staaten nun eins waren und sich Deutschland mit sich selbst
betrog?
Die Altschuldenfrage trifft den Nerv der deutschen Einigung. Auch wenn sich Karl Albrecht Schachtschneider, wie Juristen sagen, |63| in der Sache nicht durchsetzen konnte und die entscheidenden Fragen unbeantwortet blieben, so hat er doch ein heißes Eisen
angepackt und ein bisschen darauf herumgehämmert. »Im Übrigen«, sagt der Staatsrechtler, »hat die Aufwertung der Währung der
DDR durch die Währungsumstellung um fast 500 Prozent den Unternehmen in den neuen Ländern jede Chance genommen, ihre Märkte
im In- und Ausland zu behaupten, sodass ein Sanierungsbeitrag der Wirtschaft der ehemaligen DDR aus eigener Kraft weitestgehend
unmöglich gemacht worden ist. Die Währungsumstellung war als solche, unabhängig von den Altschulden, grobes Unrecht und eine
schwere Verletzung der Wirtschaftsgrundrechte, die auch und wesentlich die Persönlichkeit der wirtschaftenden Menschen schützen
sollte, vor allem deren Möglichkeit, sich aus eigener Leistung zu unterhalten.«
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Rangrücktrittserklärung auf Besserungsschein
Am frühen Nachmittag des 28. Juli, Punkt 14.00 Uhr, trafen sich Michael Constien, Gabriele Brümmer und Holger Millahn auf
dem Betriebsgelände der Agrargenossenschaft Jürgenshagen. Der Weg führte durch das große Stahltor, rechts an der Einzäunung
entlang bis zum Parkplatz gegenüber der Verwaltungsbaracke. Auf den Feldern stand das Korn auf dem Halm, und nach dem nasskalten
Sommer des Jahres 2005 kündigten sich noch rechtzeitig zur Ernte trockene Tage an. Doch die Frau und die beiden Männer hatten
für all das kein Auge. Sie gingen auf kürzestem Weg ins Büro, legten ihre Akten auf den Tisch und vertieften sich in Zahlenreihen.
Am Ende ihrer Zusammenkunft sollte eine Zahl stehen, eine bestimmte Summe Geldes, die sie der Gegenseite anbieten würden und
mit der sie sich, sollte es zu einer Einigung kommen, ihre Freiheit erkauften. Es durfte ihnen kein Fehler unterlaufen. Fiel
das Angebot zu niedrig aus, würde die Gegenseite nicht akzeptieren und es käme zu Nachverhandlungen, die einen unangenehmen
Verlauf nehmen konnten. Boten sie dagegen einen hohen Betrag, würde die andere Seite zwar bedenkenlos |64| zugreifen, doch sie selbst konnten dadurch in ernste Schwierigkeiten geraten. Wie auch immer ihre Entscheidung ausfallen würde,
auf Verständnis, Nachsicht oder gar Gerechtigkeit konnten sie dabei nicht hoffen. Ihr Angebot richtete sich an den deutschen
Fiskus.
Die Probleme
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